5.6. Die Sicherheit der Gruppe

4 years ago by Subliminal_Guy

Bevor wir die Ebene der Lokalgruppe verlassen und uns der schwierigen Frage zuwenden, wie unsere Organisation sich national und international vernetzen und wachsen kann, möchte ich noch auf das Thema Sicherheit zu sprechen kommen.
Schon im Kapitel über Aktivist*innen-Treffen hatte ich die subtilen Mittel erwähnt, mit denen politische Gruppen seit Jahrzehnten an produktiver Arbeit gehindert werden - oder mit denen sie sich ganz einfach selber im Weg stehen.
Im DSC Berlin haben wir selten bis gar nicht über konkrete Aktionen gesprochen, sondern eher über Polity- und Policy-Aspekte. Es gibt aber Lokalgruppen die u.U. zivilen Ungehorsam praktizieren möchten oder wie Extinction Rebellion eine distribuierte Aktionswoche planen, die einen gewissen Überraschungseffekt - und damit Diskretion - braucht. Es gibt viele gute Gründe für eine politische Gruppe eine interne Sicherheitskultur zu implementieren. Dazu muss man weder illegales planen noch übermäßig paranoid sein.
Der hilfreiche Ratgeber "Security Culture For Activists" der Ruckus Society berichtet u. a. über legalistische Hürden die Gruppen über Monate oder Jahre wertvolle Ressourcen kosten:
"Sich mit den Gerichten anzulegen und Zeit im Gefängnis zu verbringen, ist ein außerordentlich effektiver Weg, um Stress und Burnout zu verstärken und die Bemühungen einer Gruppe auf (...) die Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem umzulenken. Diese Strategie wird häufig von Strafverfolgungsbehörden angewandt und sollte für Aktivistengruppen von größter Bedeutung sein."
(Übersetzung durch den Autor)
In allerjüngster Vergangenheit haben wir gesehen, dass deutsche Ministerpräsidenten (und Kanzlerkandidaten) nicht vor Rechtsbruch zurückschrecken um Klimaaktivist*innen zu vertreiben. Ein Grund mehr mit sensiblen Informationen vorsichtig zu sein.
Eine weitere Taktik von politischen Gegnern ist - wie bereits erwähnt - die Störung von Meetings oder das Anstiften zu rechtswidrigen Praktiken durch agent provocateurs. Diese können auch böswilligen Klatsch und Gerüchte verbreiten (z. B. andere beschuldigen verdeckte Ermittler zu sein).
Und hier liegt auch schon der Haken bei zu viel internem Misstrauen: Übermäßige Vorsicht und die ständige Vorbereitung auf das Schlimmste können lähmend sein, die eigentliche Arbeit der Gruppe verlangsamen und neue Mitglieder abschrecken, wenn ihnen prinzipiell mit Misstrauen begegnet wird. Eine realistische Einschätzung, wie interessant man überhaupt für Strafverfolgungsbehörden und ähnliche staatliche Organe ist, ist die Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit interner Sicherheit. Es ist nämlich nicht effizient so viele Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, dass die Gruppe mehr Energie darauf verwenden, "sicher" zu sein, als auf die Verfolgung ihrer aktivistischen Ziele.
Auf keinen Fall sollte man aus einem bloßen Verdacht heraus Beschuldigungen aussprechen. Wenn die falsche Person beschuldigt wird, können wir eine(n) wertvollen Aktivist*in verlieren und die Paranoia in der Gruppe wird noch verstärkt. Als wir den mutmaßliche AfD-Maulwurf aus unserem Vorstand zeitweilig kaltgestellt hatten, haben wir übereilt gehandelt und einem DiEM25-Mitglied großes Unrecht getan. "Security Culture For Activists" rät:
"Wenn eure Gruppe über Überwachung besorgt, potentiell für Strafverfolgungsbehörden interessant, oder aktiv Repressionen ausgesetzt ist, sprecht offen über die Ängste und Sorgen der Menschen. Sprecht über realistische und Worst-Case-Szenarien. Wenn die Mitglieder über ihre Ängste sprechen und sich bewusst machen, dass andere Menschen Ihre Sorgen teilen, können diese Themen weniger einschüchternd wirken. (...) Eines der wirksamsten Mittel gegen Überwachung und Belästigung besteht darin, dass sich Menschen jahrelang für den Aktivismus engagieren und andere ermutigen, dasselbe zu tun. Aus Erfahrung erwachsen oft vertrauensvolle Beziehungen, Geduld und Perspektive. Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, Engagement zu fördern, aber eine nützliche Strategie ist es, eine Gruppe (und eine aktivistische Gemeinschaft) aufzubauen, der die Leute gerne angehören."
(Übersetzung durch den Autor)
Nicht jede*r der/die destruktives Verhalten an den Tag legt ist ein potentieller Maulwurf. Wenn es ein Gruppenmitglied gibt, das ständig die Arbeit stört (sexistisches Verhalten, Lügen, ständiges Tratschen über andere Gruppenmitglieder, Nichterledigung von Aufgaben und/oder seltenes Befolgen von Entscheidungsprotokollen), ist es in Ordnung, das anzusprechen und das Mitglied bei dauerhafter Uneinsichtigkeit zu bitten die Gruppe zu verlassen.
Interne Demokratie und Entscheidungsprozesse

Wenn eine Gruppe sich (zu Recht oder zu Unrecht) angegriffen oder überwacht fühlt, tendiert sie oft dazu hierarchischer zu werden um sich von störenden Mitgliedern zu isolieren. Dieser Prozess war bei DiEM25 an der Tagesordnung. Jede Art von Kritik, ob von Einzelpersonen, ganzen Gruppen oder nationalen Gremien wurde als toxisch gelabelt und ignoriert, isoliert oder bekämpft.
Es erscheint auf den ersten Blick sicher wichtige Entscheidungen in einer Kerngruppe von erfahrenen und sich untereinander blind vertrauenden Mitglieder zu treffen. In der Konsequenz entstehen so aber unweigerlich informelle Hierarchien, Entscheidungsstrukturen und Intransparenzen, die demokratische Strukturen erschweren oder unmöglich machen.
Eine demokratische Gruppe mit fairen und transparenten Entscheidungsstrukturen hat bereits eine gute Sicherheitskultur. Es ist einfacher eine Gruppe zu unterwandern, zu beeinflussen oder zu lobbyieren, in der nur wenige Menschen Entscheidungen treffen - oder in denen nur eine Person der*die Leader*in ist. Gute Abstimmungssysteme (siehe Kapitel 5.5.) machen es sehr schwierig für ein oder zwei Störenfriede einen ganzen Entscheidungsprozess zu blockieren. Dazu ist keine intransparente Hierarchie nötig.
Der Ratgeber "Schöner Leben ohne Spitzel" der Antifaschistischen Linken Berlin stellt fest:

"Generell ist es für eine politische Gruppe einfacher und für ihre Mitglieder angenehmer, Spitzel präventiv durch eine sorgfältige Auswahl ihrer Mitglieder und einen solidarischen und aufmerksamen Umgang miteinander zu verhindern, und deshalb nicht immer wieder auf Spitzeljagd in den eigenen Reihen gehen zu müssen."

Sollten Mitglieder die Gruppe wieder verlassen wollen, empfiehlt es sich ein "Exit Interview" mit ihnen zu machen. Was war der Grund für ihre Entscheidung? Haben sie sich ungerecht behandelt gefühlt oder hegen sie sonst einen Groll gegen die Gruppe? Was hat sie besonders gestört? Hat die Person noch wichtige Dokumente, Passwörter, eMail-Accounts oder sonstige privilegierte Zugänge? Wo kann man die Person in Zukunft erreichen, falls es Fragen gibt? In diesem Interview geht es darum keine verbrannte Erde zu hinterlassen, einen Abschluss für die gemeinsame Zeit zu finden und - wie bei jedem Unternehmen üblich - die internen Zugänge zu konsolidieren.

Im nächsten Kapitel gehe ich auf konkrete Maßnahmen zum Schutz der Kommunikation und sensibler Daten ein, die für jede*n Bürger*in selbstverständlich sein sollten, besonders aber für politische Gruppen und Organisationen.