3.3. Persona non grata
4 years ago by Subliminal_Guy
Nur wenige Tage nach Prag stellte sich heraus, dass ich für meinen Auftritt auf der Prager Versammlung büßen musste. Ich war zur Persona non grata geworden - oder wie es bei DiEM25 heißt: ein toxisches Mitglied. Der Groschen fiel bei mir aber erst allmählich.
Zunächst wurde der demokratische Beratungsprozess, den ich im September/Oktober 2019 zur Zukunft des Wahlflügels angestossen hatte, von Mitarbeitern des Coordinating Collective gekapert. Als Koordinator des deutschen Wahlflügels hatte ich den besagten Prozess eingeleitet um eine breite Diskussion über die Konsequenzen der Wahlschlappe zu ermöglichen.
Brauchte DiEM25 weiterhin einen Wahlflügel in Deutschland und sollte gar eine richtige Partei gegründet werden? Angesichts der enormen personellen und finanziellen Ressourcen die das Unterfangen Europawahl verschlungen hatte, schien mir dies die zur Zeit wichtigste Frage zu sein.
Mitglieder von DiB und DiEM25 hatten bereits on- und offline an Debatten teilgenommen und wir waren kurz davor die gewonnenen Erkenntnisse zu bündeln. Doch dieser Prozess war nun jäh verstummt.
Eine Einladung von mir an die Vorstandsmitglieder von DiB und DEMOKRATIE IN EUROPA wurde zurückgewiesen, da angeblich das Coordinating Collective nicht informiert gewesen sei. Man müsse schnell handeln, da schon im Januar 2020 eine Mitgliederversammlung angesetzt worden war. Außerdem seien mindestens zwei der fünf Vorschläge, die die Mitglieder erarbeitet hatten, nicht "realistisch".
Schneller als ich begreifen konnte was da vor sich ging war ein All-Member Vote aufgesetzt worden, in dem die Mitglieder nunmehr nur noch für eine von drei Optionen stimmen konnten: Umwandlung der Sonstigen Politischen Vereinigung in eine richtige Partei, Beibehaltung der jetzigen Organisation oder Aufgabe des Wahlflügels in Deutschland. Selbst für diesen dritten Punkt mussten meine Kontakte im Coordinating Collective noch kämpfen.
Die anschließenden Abstimmungstexte - die ich ursprünglich mit Pro- und Kontra-Argumenten verschiedener Mitglieder schreiben lassen wollte - enthielten eine unmißverständliche Tendenz in Richtung Parteigründung. Die Mitglieder folgten dieser "Wahlempfehlung".
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits von meiner Funktion als "Wahlflügel-Koordinator" zurückgetreten und bezeichnete meinen Posten im Bundeskollektiv fortan als "Love & Rage". Mir war nämlich klar geworden, dass gewählte Funktionen innerhalb der Bewegung keinerlei Bedeutung hatten. Erst recht nicht, wenn sie den Zielen von Varoufakis zuwiderliefen.
Dem Proposal des DSC Technologische Souveränität, gewissermaßen der Stein des Anstosses, wurde ein ähnliches Schicksal bereitet. Nachdem es von 94% der Mitglieder angenommen worden war, begann die IT-Koordinatorin die Arbeit umzudeuten u.a. mit dem Argument den Mitgliedern sei gar nicht genau klar gewesen was sie da abgestimmt hätten. Insbesondere für den Punkt mit den deliberativen Software-Tools sei eine Änderung der Organisationsprinzipien nötig.
Unverblümt sagte sie mir: "Du weißt das Yanis sich dagegen ausgesprochen hat, also brauchst du es beim CC gar nicht zu versuchen. Sie werden nicht gegen Yanis Willen abstimmen."
Die meisten meiner Mitstreiter*innen zeigten sich demgegenüber indifferent. Ich muss im Rückblick sagen, dass ich wesentlich mehr Arbeit in die Kommunikation mit den Mitgliedern hätte stecken und mir den Rückhalt der kritischen Mitglieder hätte sichern müssen. Viele hatten die Implikationen des Proposals nicht so deutlich gesehen wie ich dachte und so war der Widerstand nur sehr verzagt ausgefallen. De facto hatte Yanis Varoufakis funktionierenden basisdemokratischen Strukturen eine Absage erteilt, da dies "dem Geist der Bewegung" widerspreche.
Aber selbst wenn sich größerer Widerstand gebildet hätte: es gab gar kein Ventil für Widerspruch oder Empörung. Das DiEM25-Forum wurde nur von wenigen Mitgliedern überhaupt gelesen. Die Newsletter der nationalen Kollektive - wenn sie überhaupt existierten - wurden von der IT-Koordinatorin (und einer kleinen Gruppe weiterer CC-Mitglieder) geprüft und gegebenenfalls zensiert, bevor sie abgeschickt wurden. Im Grunde war es nur dem Coordinating Collective möglich alle DiEM25-Mitglieder zu adressieren, was mit pathosgeladenen und/oder alarmistisch formulierten eMails geschah, in denen zur Abstimmung, zu Spenden oder zur Teilnahme an einer Petition aufgerufen wurde. Fraktionen in der Bewegung waren unerwünscht, sie widersprachen dem Geist der Kameraderie. Abweichende Positionen wurden als toxisch gebrandmarkt und isoliert.
Noch wusste ich nicht, dass dies der Anfang vom Ende meiner Zeit bei DiEM25 war. Ich glaubte immer noch an Missverständnisse, die sich am Ende vielleicht aus der Welt räumen ließen. Möglicherweise war das CC nur überarbeitet und genervt von der ständigen Unzufriedenheit der Mitglieder. Wenn es uns gelang konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge mit starker Basisunterstützung zu formulieren, würde das Coordinating Collective früher oder später einlenken müssen. Wir waren doch schließlich eine Grassroots-Bewegung?
Um den im nächsten Kapitel geschilderten Vorfall besser zu verstehen, möchte ich kurz die beiden von DiEM25 benutzen Verfahren erläutern, die demokratische Arbeit in der Bewegung ermöglichen sollen.
Der bereits vielfach erwähnte All-Member Vote ist prinzipiell schon vom Wort her selbsterklärend. Steht eine Entscheidung aus wird sie im DiEM25-Forum und per Newsletter angekündigt. Für gewöhnlich werden danach ein bis zwei Wochen Debatte ermöglicht, die weitestgehend im Forum stattfindet, manchmal auch in einer öffentlichen Videokonferenz. Danach darf jedes Mitglied im internen Bereich der Website seine Stimme abgeben. Ja nach Thema stimmten so ein paar Hundert bis maximal 7-8000 Mitglieder ab.
Da dieses Verfahren recht zeitaufwendig war, gab es für Entscheidungen von geringerer Tragweite oder mit großem Zeitdruck ein zufällig ausgelostes Gremium: Das Validating Council. Jedes DiEM25-Mitglied konnte sich für die Auslosung bewerben. Lediglich ein paar Sachfragen mussten beantwortet werden, um zu gewährleisten, dass man die grundlegenden Mechanismen und Prinzipien von DiEM25 verstanden hatte. Das Validating Council bestand aus 100 Mitgliedern, die keinen direkten Kontakt zueinander hatten. Wenn eine Wahl anstand wurde das Validating Council informiert und die Mitglieder gaben nach kurzer Bedenkzeit ihre Stimmen ab.
Ich hielt das Validating Council-Verfahren lange Zeit für fair und unproblematisch. Über die fatalen Tücken des Verfahrens und die Manipulationsanfälligkeit des Gremiums, die dem Bundeskollektiv letztlich zum Verhängnis wurden, werde ich im nächsten Kapitel berichten.
Zunächst wurde der demokratische Beratungsprozess, den ich im September/Oktober 2019 zur Zukunft des Wahlflügels angestossen hatte, von Mitarbeitern des Coordinating Collective gekapert. Als Koordinator des deutschen Wahlflügels hatte ich den besagten Prozess eingeleitet um eine breite Diskussion über die Konsequenzen der Wahlschlappe zu ermöglichen.
Brauchte DiEM25 weiterhin einen Wahlflügel in Deutschland und sollte gar eine richtige Partei gegründet werden? Angesichts der enormen personellen und finanziellen Ressourcen die das Unterfangen Europawahl verschlungen hatte, schien mir dies die zur Zeit wichtigste Frage zu sein.
Mitglieder von DiB und DiEM25 hatten bereits on- und offline an Debatten teilgenommen und wir waren kurz davor die gewonnenen Erkenntnisse zu bündeln. Doch dieser Prozess war nun jäh verstummt.
Eine Einladung von mir an die Vorstandsmitglieder von DiB und DEMOKRATIE IN EUROPA wurde zurückgewiesen, da angeblich das Coordinating Collective nicht informiert gewesen sei. Man müsse schnell handeln, da schon im Januar 2020 eine Mitgliederversammlung angesetzt worden war. Außerdem seien mindestens zwei der fünf Vorschläge, die die Mitglieder erarbeitet hatten, nicht "realistisch".
Schneller als ich begreifen konnte was da vor sich ging war ein All-Member Vote aufgesetzt worden, in dem die Mitglieder nunmehr nur noch für eine von drei Optionen stimmen konnten: Umwandlung der Sonstigen Politischen Vereinigung in eine richtige Partei, Beibehaltung der jetzigen Organisation oder Aufgabe des Wahlflügels in Deutschland. Selbst für diesen dritten Punkt mussten meine Kontakte im Coordinating Collective noch kämpfen.
Die anschließenden Abstimmungstexte - die ich ursprünglich mit Pro- und Kontra-Argumenten verschiedener Mitglieder schreiben lassen wollte - enthielten eine unmißverständliche Tendenz in Richtung Parteigründung. Die Mitglieder folgten dieser "Wahlempfehlung".
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits von meiner Funktion als "Wahlflügel-Koordinator" zurückgetreten und bezeichnete meinen Posten im Bundeskollektiv fortan als "Love & Rage". Mir war nämlich klar geworden, dass gewählte Funktionen innerhalb der Bewegung keinerlei Bedeutung hatten. Erst recht nicht, wenn sie den Zielen von Varoufakis zuwiderliefen.
Dem Proposal des DSC Technologische Souveränität, gewissermaßen der Stein des Anstosses, wurde ein ähnliches Schicksal bereitet. Nachdem es von 94% der Mitglieder angenommen worden war, begann die IT-Koordinatorin die Arbeit umzudeuten u.a. mit dem Argument den Mitgliedern sei gar nicht genau klar gewesen was sie da abgestimmt hätten. Insbesondere für den Punkt mit den deliberativen Software-Tools sei eine Änderung der Organisationsprinzipien nötig.
Unverblümt sagte sie mir: "Du weißt das Yanis sich dagegen ausgesprochen hat, also brauchst du es beim CC gar nicht zu versuchen. Sie werden nicht gegen Yanis Willen abstimmen."
Die meisten meiner Mitstreiter*innen zeigten sich demgegenüber indifferent. Ich muss im Rückblick sagen, dass ich wesentlich mehr Arbeit in die Kommunikation mit den Mitgliedern hätte stecken und mir den Rückhalt der kritischen Mitglieder hätte sichern müssen. Viele hatten die Implikationen des Proposals nicht so deutlich gesehen wie ich dachte und so war der Widerstand nur sehr verzagt ausgefallen. De facto hatte Yanis Varoufakis funktionierenden basisdemokratischen Strukturen eine Absage erteilt, da dies "dem Geist der Bewegung" widerspreche.
Aber selbst wenn sich größerer Widerstand gebildet hätte: es gab gar kein Ventil für Widerspruch oder Empörung. Das DiEM25-Forum wurde nur von wenigen Mitgliedern überhaupt gelesen. Die Newsletter der nationalen Kollektive - wenn sie überhaupt existierten - wurden von der IT-Koordinatorin (und einer kleinen Gruppe weiterer CC-Mitglieder) geprüft und gegebenenfalls zensiert, bevor sie abgeschickt wurden. Im Grunde war es nur dem Coordinating Collective möglich alle DiEM25-Mitglieder zu adressieren, was mit pathosgeladenen und/oder alarmistisch formulierten eMails geschah, in denen zur Abstimmung, zu Spenden oder zur Teilnahme an einer Petition aufgerufen wurde. Fraktionen in der Bewegung waren unerwünscht, sie widersprachen dem Geist der Kameraderie. Abweichende Positionen wurden als toxisch gebrandmarkt und isoliert.
Noch wusste ich nicht, dass dies der Anfang vom Ende meiner Zeit bei DiEM25 war. Ich glaubte immer noch an Missverständnisse, die sich am Ende vielleicht aus der Welt räumen ließen. Möglicherweise war das CC nur überarbeitet und genervt von der ständigen Unzufriedenheit der Mitglieder. Wenn es uns gelang konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge mit starker Basisunterstützung zu formulieren, würde das Coordinating Collective früher oder später einlenken müssen. Wir waren doch schließlich eine Grassroots-Bewegung?
Um den im nächsten Kapitel geschilderten Vorfall besser zu verstehen, möchte ich kurz die beiden von DiEM25 benutzen Verfahren erläutern, die demokratische Arbeit in der Bewegung ermöglichen sollen.
Der bereits vielfach erwähnte All-Member Vote ist prinzipiell schon vom Wort her selbsterklärend. Steht eine Entscheidung aus wird sie im DiEM25-Forum und per Newsletter angekündigt. Für gewöhnlich werden danach ein bis zwei Wochen Debatte ermöglicht, die weitestgehend im Forum stattfindet, manchmal auch in einer öffentlichen Videokonferenz. Danach darf jedes Mitglied im internen Bereich der Website seine Stimme abgeben. Ja nach Thema stimmten so ein paar Hundert bis maximal 7-8000 Mitglieder ab.
Da dieses Verfahren recht zeitaufwendig war, gab es für Entscheidungen von geringerer Tragweite oder mit großem Zeitdruck ein zufällig ausgelostes Gremium: Das Validating Council. Jedes DiEM25-Mitglied konnte sich für die Auslosung bewerben. Lediglich ein paar Sachfragen mussten beantwortet werden, um zu gewährleisten, dass man die grundlegenden Mechanismen und Prinzipien von DiEM25 verstanden hatte. Das Validating Council bestand aus 100 Mitgliedern, die keinen direkten Kontakt zueinander hatten. Wenn eine Wahl anstand wurde das Validating Council informiert und die Mitglieder gaben nach kurzer Bedenkzeit ihre Stimmen ab.
Ich hielt das Validating Council-Verfahren lange Zeit für fair und unproblematisch. Über die fatalen Tücken des Verfahrens und die Manipulationsanfälligkeit des Gremiums, die dem Bundeskollektiv letztlich zum Verhängnis wurden, werde ich im nächsten Kapitel berichten.