3.2. Versammlung in Prag

4 years ago by Subliminal_Guy

Anfang August 2019 gab es gleich mehrere Hoffnungsschimmer in DiEM25: Bei den Neuwahlen des Coordinating Collective waren endlich die Karteileichen Brian Eno und Noam Chomsky verschwunden und ein paar kritische und aus der Basisarbeit bekannte Mitglieder hatten es in das zwölfköpfige Gremium geschafft. Unter ihnen war auch unsere ehemalige Kandidatin für das Europaparlament, die österreichische Politikerin Daniela Platsch.
Weiterhin sollte es im Herbst eine europaweite Versammlung geben, zu der Mitgliedervorschläge strukturiert eingereicht, diskutiert und abgestimmt werden konnten - die Prague Assembly. Viele Mitglieder sahen darin einen wichtigen Schritt um der Basis und dem Pluralismus innerhalb der Bewegung Gehör zu verschaffen.
Das DSC Technologische Souveränität (wir erinnern uns: DSC = DiEM25s spontanes Kollektiv) legte ein Proposal vor um die digitale Infrastruktur von DiEM25 zu verbessern. Neben eher technischen Vorschlägen, wie die Nutzung der Open Source-Software humhub zur Kommunikation der Mitglieder untereinander, gab es auch die Idee die Nutzung von Software-Tools zur digitalen, deliberativen Demokratie [1] bei DiEM25 einzuführen.
Das Proposal war nüchtern und neutral gehalten und nicht mit einer dezidierten Strategie zur Änderung der Organisationsstruktur von DiEM25 verbunden. Viele andere Mitglieder hatten jedoch deutliche Kritik an der mangelnden internen Demokratie von DiEM25 geäußert und Vorschläge zu deren Verbesserung eingereicht. Das Bundeskollektiv hatte es sich selbstredend auf die Fahne geschoben diese basisdemokratischen Vorstöße breit zu unterstützen. Schnell entstanden diverse Chat-Gruppen in denen versucht wurde Konsens zwischen den verschiedenen Ansätzen zu finden. Am Ende gab es vier verschiedene Einreichungen zu der Thematik.
Dies führte zu dem traurigen Ergebnis, dass keine der vier Einreichungen es in die Auswahl für die Assembly schafften. Alle erhielten um die 20% der Stimmen. Der Vorschlag des DSC Technologische Souveränität schaffte es aber sehr wohl auf die Assembly. So wurde das Technologie-Proposal kurzerhand zum trojanischen Pferd auserkoren, mit dem die Gruppe der Reformer*innen die ersehnten Strukturveränderungen auf die Assembly schmuggeln und dort breit diskutieren konnte.
Von einigen Mitgliedern wurde die Prague Assembly spöttisch als Versammlung des Politbüros bezeichnet, da das Gebaren des Coordinating Collective zunehmend autoritärer und zentralistischer wurde. Da es sehr lange dauerte bis Details über den genauen Ablauf der Assembly bekannt wurden, gab es viel Raum für Spekulationen. Für eine kurze Zeit kursierte das Gerücht, dass nur Mitglieder aus Nationalkollektiven eingeladen waren, was aber nicht den Tatsachen entsprach. Es gab einen Deckel bei 200 Teilnehmer*innen, dies war aber der Größe des Versammlungsortes geschuldet, dem Auditorium Maximum der Prager Universität.
Als nächstes erhitze eine weitere Ankündigung des CCs die Gemüter: Man wolle einen eigenen mehrschichtigen Zukunftsplan für DiEM25 vorlegen, der in Prag zwar vorgestellt werde, aber nicht verändert werden durfte. Man werde den Mitgliedern auf der Assembly Gelegenheit für Feedback geben, aber einen Rechtsanspruch auf Anpassung seitens der Mitglieder werde es nicht geben. Ein zentraler Plan, geschrieben von ein paar Parteiideolog*innen, der lediglich abgenickt werden sollte? Aus der basisdemokratischen Bewegung war ein absurdes Zerrbild geworden.
Für die Proposals, die die Mitglieder eingereicht hatten, galt das Gegenteil. Die Einreichenden sollten sich einer Fragerunde stellen und anschließend würden Änderungsanträge eingereicht und vor Ort abgestimmt werden. Die variierte Fassung sollte dann in das Online-Mitgliedervotum (All-Member Vote), so dass alle Mitglieder darüber abstimmen konnten.
Die Prague Assembly sorgte aber nicht nur für heftige Debatten, sie wurde auch als Hoffnung zur Lösung vieler interner Problem angesehen. Das Vertrauen in die Vertreter*innen des Coordinating Collective war vielfach erschüttert. Wir im Bundeskollektiv hofften, dass die schiere Präsenz von einer großen Anzahl von Mitgliedern Fakten im Sinne der Basis schaffen würde.
Als sich die Mitglieder schließlich am 23. November im Auditorium der Prager Universität zusammenfanden, kritisierten einige gleich zu Anfang der Versammlung die Zusammensetzung der Moderation, die ausschließlich aus Mitgliedern des Coordinating Collective und dessen Angestellten bestand. Auch Probleme mit der Tagesordnung und dem allgemeinen Ablauf der Assembly wurden thematisiert. Irgendwann rief ein ex-officio genervt ins Publikum man werde jetzt weitermachen, da man sich nicht von ein paar Einzelstimmen aufhalten lassen wolle. Ich brüllte, er solle doch einfach mal nach einer Handabstimmung fragen. Die Abstimmung verlief zugunsten der "Einzelstimmen".
Die Atmosphäre war äußerst angespannt. CC-Mitglieder und ex officios saßen vorwiegend in der ersten Reihe und bildeten besonders bei Abstimmungen über die Proposals der Basismitglieder eine Phalanx.
Als die Reihe an ein programmatisches Proposal zum Thema „Demokratie am Arbeitsplatz“ kam, meldete Varoufakis sich zu Wort. Er äußerte Begeisterung und schlug vor - sehr zur Überraschung seines Vorredners - eine neue Säule zum Thema "Postkapitalismus“ in DiEM25 zu schaffen. Dies sei das langfristige Ziel das unsere Bewegung anstreben müsse. Ich glaube in der großen Politik nennt man so etwas "Umarmungstaktik" ;-)
Nach jedem Proposal glich das Auditorium einer filmreifen kontroversen Parlamentsdebatte. Vor dem Podium bildete sich eine Menschentraube in der aufeinander eingeredet, gestritten und wild gestikuliert wurde. Nach Auskunft einiger Teilnehmer*innen kam es auch zu unschönen Wortwechseln mit Varoufakis. Hier in Prag wurde unmißverständlich deutlich, das starke Spannungen in der Bewegung herrschten, die sich spätestens seit der missglückten Wahlkampagne ausgebreitet hatten.
Am nächsten Tag, nach dem Mittagessen stand das Proposal des DSC Technologische Souveränität auf dem Plan, dessen Vorstellung ich übernommen hatte. Es wurde in der Folge oft als "mein" Proposal bezeichnet, obwohl ich an der ersten Fassung gar nicht beteiligt war. Ich hatte lediglich eine Punkt zur Nutzung der Software humhub ergänzt.
Schon am Morgen hatten mir andere Mitglieder berichtet, dass das Coordinating Collective das Proposal für radikal oder gar autoritär erklärt hatte. Aufgestossen waren wohl die Erwähnung der Softwarelösungen für digitale, deliberative Demokratie wie DECIDIM, Konsul oder Liquid Feedback.
Das CC witterte in dem eher technisch gehaltenen Proposal ein Einfallstor für die weitergehenden strukturellen Reformen, die es nicht auf die Assembly geschafft hatten. Und sie lagen natürlich völlig richtig. Wir hatten sogar zwei Personen mit Änderungsanträgen präpariert, die u.a. vorschlagen sollten, dass das Coordinating Collective endlich einen klaren Weg definieren solle, wie Mitglieder ohne Zustimmung der zentralen Koordination einen All-Member Vote initiieren konnten. Eigentlich eine selbstverständliche Minimalforderung. Es spricht Bände über die Verfasstheit von DiEM25, dass die Einführung solcher demokratischen Mindeststandards von Varoufakis und Co. als Angriff auf die Bewegung bewertet wurden.
Kurz vor dem Mittagessen erfuhr ich, dass die Präsentation des Proposals aus organisatorischen Gründen vorgezogen werden sollte. Ich war sehr nervös, so dass ich mir das Mittagessen einpacken ließ und mich ins Auditorium begab, um nochmal die Unterlagen durchzusehen. Ich stellte mir selber einen Timer auf 90 Sekunden um das Proposal so konzis und kompakt wie möglich zu präsentieren. Mein kurzes Plädoyer dauerte keine Sekunde länger. Es gab einen Moment der Stille. Dann startete die Fragerunde.
Die IT-Koordinatorin war als erste dran und brachte eine Reihe von Einwänden an, von denen einer war, dass sie nicht konsultiert worden war, ein anderer, dass sich die Technologie-Gruppe zu viel Macht anmaßen würde. Außerdem gab sie eine elaborierte Begründung dafür warum digitale Tools wie das im Umfeld der Piratenpartei entwickelte Liquid Feedback schlecht seien. Ihr Argument war, dass dann viele Mitglieder ihre Stimme an Varoufakis delegieren würden und er dadurch zu viel Macht bekäme.
Eines der typischen widersprüchlichen Manöver des Coordinating Collective. Neue Ideen wurden mit der Begründung abgelehnt sie würden den gut durchdachten Organisationsprinzipien widersprechen und die Mitglieder entmachten. Auf der anderen Seite konnte - wie auf der Assembly bereits mehrfach gezeigt worden war - Yanis Varoufakis jederzeit vorschlagen, entscheiden und blockieren was er wollte, ganz ohne Liquid Feedback.
Ich schlug mich so gut ich konnte und widerlegte ein Argument nach dem anderen. Während der ganzen Zeit beobachtete ich Varoufakis genau. Dieser saß mit seiner Partnerin Danae Stratou in der ersten Reihe und machte auf mich einen interessiert zuhörenden Eindruck. Umso überraschter war ich, als er schließlich das Wort ergriff und verkündete, dass das Proposal von der Tagesordnung gestrichen werden solle und er sonst aus Protest die Assembly verlassen werde. Das Proposal sei gegen „The Spirit of our Movement"!
Der Saal tobte vor Empörung. Und ich, der ich am Rednerpult stand, sackte nach hinten gegen die Wand. Für einige Augenblicke hatte ich eine klaren Gedanken: „Das war es für mich in DiEM25". Der Reformvorschlag war so gut wie gescheitert, wenn Varoufakis sich dagegen aussprach.
Die Moderator*innen bemühten sich das Chaos wieder in den Griff zu kriegen und baten um eine Beratungspause. Schließlich wurden doch noch Änderungsanträge zugelassen und mehrere Interessengruppen bildeten sich. Ich saß wie ein Häufchen Elend in der ersten Reihe während alle möglichen Leute auf mich einredeten. Überall standen Grüppchen zusammen, die berieten wie nun zu verfahren sei. CC-Mitglieder reichten Änderungsanträge ein, die dafür sorgten, dass CC-Mitglieder die Kontrolle über den vorgeschlagenen Prozess behielten. Unsere Vorlage wurde deutlich entschärft. Schließlich wurde das angepasste Proposal mit übergroßer Mehrheit angenommen, obwohl das ganze Koordinierungskollektiv dagegen stimmte.
Varoufakis hielt anschließend eine kleine Rede, eine Art Entschuldigung, in der er erklärte, dass er nun leider trotzdem gehen müsse, da ihn im griechischen Parlament eine wichtige Debatte erwartete. Damit war klar, wieso "mein" Proposal vorgezogen worden war. Das Coordinating Collective hatte schon im Vorfeld beschlossen - wie wir später anhand eines internen Dokuments belegen konnte - das Proposal entweder abzulehnen oder mit drastischen Änderungen zu versehen.
Nach der Abstimmung beglückwünschten mich alle möglichen Leute und wir hatten das ehrliche Gefühl, dass hier so etwas wie ein Konsens erreicht worden war. Viele sagten anschließend, dass die Entladungen, die in Prag stattgefunden hatten, nötig gewesen waren um die Spannungen innerhalb der Bewegung zu klären. Auf der Rückfahrt nach Berlin war ich euphorisch gestimmt. Unser Bundeskollektiv hatte deutliches Profil in Prag gezeigt und wir waren auch stolz darauf wie gut wir als Kollektiv zusammen gearbeitet hatten.
[1] Mehr zu der Bedeutung von deliberativen Prozessen in demokratische Strukturen und über die digitalen Tools dazu gibt es in den nächsten Kapiteln.
anonymous

anonymous

3 years ago

Das war sehr spannend zu lesen ;) Muss hart gewesen sein. Respekt.