2.7. Wahlkampfmodus

4 years ago by Subliminal_Guy

Ende Februar 2019 hatten wir 5577 gültige Unterschriften an den Bundeswahlleiter verschickt und kurz danach war dann amtlich bestätigt das wir an der Europawahl teilnehmen konnten. Der Wahlkampf hatte offiziell begonnen. Ich hatte mich etwas von den Erlebnissen im Wahlflügel-Vorstand erholt und bewarb mich jetzt für das DiEM25 Bundeskollektiv.
Die Nationalen Kollektive waren so etwas wie die Vertretung der Bewegung im jeweiligen Land. Also eher DiEM25 in Deutschland als DiEM25 Deutschland, wie es später hieß. (Semantische Spitzfindigkeiten dieser Art sind auch Teil linker Politikfolklore, was ja spätestens seit Monty Pythons judäischer Volksfront weithin bekannt ist.)
Es waren vorzeitige Neuwahlen ausgerufen worden, da sich das alte Bundeskollektiv heillos zerstritten hatte und handlungsunfähig war, ähnlich wie unser Vorstand im Herbst 2018. Ich ahnte bereits den Kater, der sich nach der Europawahl in der Bewegung breitmachen würde, und wollte mithelfen den Fokus wieder auf die Progressive Agenda für Europa zu lenken.
Zeitgleich war ich damit beschäftigt die Website von DEMOKRATIE IN EUROPA täglich auf dem Laufenden zu halten, ins Englische zu übersetzen und die vielen bundesweiten Termine einzupflegen. Überall gab es Aktivität: Wöchentliche Volunteer-Meetings in mehreren deutschen Städten, Auftritte von Yanis Varoufakis in Fernsehen und Podcasts und einen echt guten Wahlwerbespot, in dem Greta Thunberg - als animierte Zeichentrickfigur - für unsere Sache einspannt wurde. Es wurden Plakate gedruckt mit einem Varoufakis vor grünem Hintergrund. Der Green New Deal - unter anderem in den USA von der Politikaufsteigerin Alexandria Ocasio-Cortez wieder populär gemacht - war zum Haupt-Wahlnarrativ erklärt worden.
Das Ganze war natürlich der Versuch auf der von Fridays for Future losgetretene Welle des Klimaaktivismus zu reiten. Der Ökologie-Pillar von DiEM25, von dem ich lange nichts mehr gehört hatte, war plötzlich zu neuem Leben erwacht und kurzerhand mit dem European New Deal fusioniert worden. Und eine überraschende Allianz tat sich auf. Über eine gemeinsame Freundschaft zu Julian Assange hatte Srećko Horvat Pamela Anderson dazu gebracht uns beim Europawahlkampf zu unterstützen und für ein Wahlplakat zu posieren. Eine symbolische Aufstellung des Plakates wurde von RTL begleitet und in einem reißerischen Beitrag verarbeitet. Auch hatte es sich ergeben, dass arte ein "Durch die Nacht mit ..." mit Pamela Anderson und Srećko Horvat drehen wollte. Wenn man sich die Folge heute ansieht, kann man recht gut beobachten wie Horvat mehrfach versucht ein politisches Statement aus Pamela Anderson herauszuholen.
Zusammen mit Yanis Varoufakis hatten wir jetzt also eine cheesy-erotische Pamela Anderson als Wahlplakat. Nicht nur die Feminist*innen in DiEM25 waren gespalten: Die eine Fraktion wollte kein Slutshaming betreiben und trat dafür ein, dass auch eine Frau mit einer "lebhaften" Vergangenheit wie Pamela Anderson für politische Ziele eintreten könne. Die andere Fraktion fand es sexistisch und fragte sich, warum nicht unsere Kandidatin auf dem Listenplatz 2, Daniela Platsch, auf ein Plakat kam.
Im DSC Berlin darauf angesprochen verteidigte ich die Entscheidung des Vorstands mit dem Argument der taktischen Notwendigkeit. Der Vorstand, so sagte ich, war gewählt worden um die Wahlen für uns zu gewinnen und würde sich nach der Wahl für jedes wie auch immer geartete Ergebnis verantworten müssen. Es sei nicht hilfreich die Entscheidungen des Vorstands - den wir als taktisches Werkzeug einer demokratischen Bewegung eingesetzt hatten - ständig zu kritisieren und zu hinterfragen. Mein Beitrag zur Dialektik von Vertikalität und Horizontalität in der Organisation progressiver Bewegungen. ;-)
Im Rückblick denke ich, dass die Sache mit Pamela Anderson weder gut noch schlecht für uns war. Ich kann mir kaum vorstellen, dass uns irgendjemand aufgrund dieses PR-Gags gewählt hat. Aber ebenso glaube ich auch nicht, dass es potentielle Wähler*innen ernsthaft gestört hat. Es verrät allerdings eine große Schwäche von DiEM25, nämlich den großen Einfluß von mehr oder weniger Bekannten Polit-Promis und Intellektuellen. Man ließ die Kontakte zum Assange-Unterstützerkreis spielen - bei einer Demo war sogar der chinesische Künstler Ai WeiWei dabei - ohne zu berücksichtigen, dass diese im deutsche Politikdiskurs teilweise überhaupt keine Rolle spielten. Niemand hatte bisher Pamela Anderson mit Politik verbunden und die Bedeutung von Julian Assange für den Europawahlkampf war auch schwer herzuleiten.
Ich kämpfte dafür die Digitalpolitik stärker zu bespielen, da die Piraten gerade ernste interne Probleme hatten und wir vielleicht diese Lücke füllen konnten. Anfang Mai launchten meinen Ko-Autor*innen und ich DiEM25s Politikpapier zur Technologischen Souveränität im Rahmen einer Veranstaltung in Berlin. Es war allerdings auch schon viel zu spät um das Image von DEMOKRATIE IN EUROPA in irgendeiner wirksamen Weise zu prägen. Wer uns kannte, für den waren wir die Yanis Varoufakis-Partei und unsere Teilnahme an der Europawahl wurde nicht einmal in der Talkshow thematisiert in der Varoufakis zu Gast war.
Spiegel.de konstatierte Varoufakis am 11.03.2019, dass er die Anne-Will-Runde mit Manfred Weber, Beatrix von Storch, Christian Lindner und Cathrin Kahlweit souverän vorgeführt hätte. Er sprach Manfred Weber auf die problematische Beziehung der CDU zur ungarischen Partei Fidesz und ihrem Vorsitzenden Viktor Orbán an: "Die Orbáns dieser Welt sind ein Symptom für das Scheitern der Union, rational diese Probleme anzugehen." DEMOKRATIE IN EUROPA wird im Artikel nur als "progressive Kleinstpartei" erwähnt.
Was uns meiner Ansicht nach die meiste politische Aufmerksamkeit geschenkt hatte war der Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung, in den wir mit großem Aufwand unsere Inhalte einpflegten. Ein unermüdlicher Kollege von Demokratie in Bewegung arbeitete hart daran zu jeder Frage, die nicht eindeutig durch das European Spring Programm geklärt war, eine demokratisch legitimierte Antwort zu finden. Dies war - zumindest konzeptionell - bis heute das einzige Mal dass ich ernsthafte Bemühungen um breite demokratische Legitimation im Umkreis von DiEM25 gesehen habe.
Als weiteres nervtötendes - wenn auch im Rückblick irrelevantes - Problem im Wahlkampf entpuppte sich die Mitgliedschaft der Musiker Brian Eno und Bobby Gillespie bei der Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), "eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will". Eno war Mitglied in DiEM25s Coordinating Collective und Gillespie Mitglied des Beratungsgremiums (Advisory Panel) von DiEM25.
Ein Mitglied von DiB startete in Zusammenarbeit mit Jutta Dittfurth einen kleinen twitter-Shitstorm, in dem versucht wurde DEMOKRATIE IN EUROPA in die antisemitische Ecke zu stellen. Wir hatten das Problem natürlich schon früher intern angesprochen, aber in einer transeuropäischen Organisation sind die politischen Sensibilitäten verschiedener Länder nicht gleich ausgeprägt. So mussten wir im deutschen Wahlkampf mit einem Stigma leben, dass andere europäische Länder als "typisch deutsch" empfanden.
Unser direkter Mitbewerber war die ebenfalls transeuropäisch aufgestellte Partei Volt. Volt hatte offenbar eine solide Finanzierung und pflasterte schon Anfang April die Straßen mit Wahlplakaten zu. Vielerorts wurden wir gefragt warum wir nicht mit Volt zusammenarbeiten würden. Die Antwort war in der Regel, das Volt sich zwar als progressiv präsentieren würde, allerdings keine wirkliche Abgrenzung zur neoliberal dominierten Politik der politischen Mitte darstellte. Volt fuhr meiner Ansicht nach auf dem von diversen Organisationen und Bewegungen angestoßenen Zug der Europabegeisterung und präsentierte sich als pro-europäische Alternative ohne große inhaltlich-programmatische Schwerpunkte zu setzen. Eine Strategie die ihrem Mitgründer Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager eine Sitz im Europaparlament bescherte. [1]
DEMOKRATIE IN EUROA erhielt 130.229 Stimmen, was einem Anteil von 0,3% entsprach. Das war deutlich weniger als sich die Meisten von uns erhofft hatten. Am Ende gab es nicht einmal einen Sitz für DiEM25s schillernde Führungsfigur.
Die Frage die mich nach dem Wahldebakel aber am Meisten beschäftigte: Was wäre passiert, wenn wir diesen Einen oder sogar zwei Sitze bekommen hätten? Varoufakis hatte - wie bereits erwähnt - schon öffentlich angekündigt in absehbarer Zeit den Posten wieder zu verlassen. Eine Umsetzung auch nur eines genuinen Punkts des European Spring-Programms durch etwaige Parlamentarier war praktisch ausgeschlossen. Was war das realistische Ziel der Wahlteilnahme und der Arbeit Hunderter von Freiwilligen und monatelanger harter Arbeit für ein paar Dutzend im harten Kern gewesen?
Die bereits erwähnte, vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jasper Finkeldey veröffentlichte, Nachbetrachtung konzentriert sich in erster Linie auf eine Analyse der internen Gründe dafür, warum die European-Spring-Parteien nicht besser abgeschnitten hatten.
Eine Antwort auf die Frage welchen Platz DEMOKRATIE IN EUROPA überhaupt in der deutschen und europäischen Politiklandschaft besetzen wollte fehlt bis heute. Von Varoufakis war am Wahlabend nur per Videokonferenz zu hören: Weitermachen! Am Montag etwas ausruhen und am Dienstag weiterkämpfen.
[1] Über die Finanzierung und das Personal von Volt hat der deutsch-amerikanisch-irische Polit-Podcast Corner Späti eine amüsante Folge gemacht: Volter? I barely know her!