2.4. Mit Varoufakis in der Bar
4 years ago by Subliminal_Guy
Einige Tage später, nachdem die Aufregung der Videokonferenz mit Yanis Varoufakis verflogen war, ärgerte ich mich immer noch über die Reaktion von Varoufakis auf die vom Kollegen geäußerte Kritik, die Zoom-Konferenz sei keine Promi-Fragerunde. Konnte Varoufakis im Namen der Kameradschaft und der Gleichheit für sich beanspruchen die Sitzung zu dominieren? War er sich seiner herausragenden Stellung nicht bewusst?
Ich glaube, dass das Ganze ein geübtes rhetorisches Manöver war. Er ließ typische linke Vorbehalte gegen Hierarchie, Dominanz und Führungsansprüche für sich arbeiten, indem er vorgab selbst Opfer von Ausgrenzung und Zensur zu sein. Sympathisch war das nicht, aber vielleicht notwendig. Ich bin auch der Ansicht, dass demokratische Deliberation einen zeitlichen und thematischen Rahmen haben muss und eine starke Moderation wichtig ist, um zu einem Ergebnis zu kommen. Dass das prominenteste und politisch gewichtigste Mitglied von DiEM25 sich als Underdog inszeniert hatte, schien mir aber keine gute Lösung gewesen zu sein.
Ich kam nicht dazu diese Bedenken weiter zu reflektieren, da uns kurze Zeit später mitgeteilt wurde, dass Varoufakis in Berlin sei und sich mit dem Vorstand des Wahlflügels und dem Bundeskollektiv treffen wolle. Ich sah dies als ideale Gelegenheit ihm unsere Arbeit am Technologiepapier und dessen Relevanz für den kommenden deutschen Europawahlkampf zu präsentieren.
Ich wusste aus verschiedenen Erfahrungen in der Medienbranche, dass man dies am Besten in Form eines Elevator Pitch macht. Die Grundannahme beim Elevator Pitch ist, dass man eine(n) wichtige(n) Produzenten/in oder Redakteur*in im Aufzug trifft und sechzig Sekunden Zeit hat seine Idee so zu präsentieren, dass die Person mehr hören möchte. Ich setzte mich also in die Bibliothek und versuchte die Berge an Dokumenten die wir erzeugt hatten auf drei oder vier One-Pager zu verdichten und diese dann wieder auf eine DIN-A4-Seite zu kürzen. Wir hatten bereits den ersten Entwurf des Policy Papers veröffentlicht und waren dafür auch heftig kritisiert worden. Die Basis des Papier bildeten ca. 30 Einsendungen, die Mitglieder aufgrund von einem kollektiv erstellten Fragebogen gemacht hatten.
Ich hatte ein Kapitel über die utopischen Hoffnungen verfasst, die das Internet in den 1990ern ausgelöst hatte. Das heutige Internet, so meine These, hatte all diese Versprechungen verraten und wir müssten ein neues Internet schaffen das die Ideen von rhizomatischer Vernetzung und horizontaler Kommunikation verwirklichte und die Eroberung von anarchistischen Freiräumen zur Grundlage hatte. Dann folgten etwas holprig zusammengestellte konkrete Politikvorschläge. Das Kapitel musste gründlich überarbeitet werden, aber glücklicherweise hatten meine Mitautor*innen gute Arbeit geleistet und ich hatte nach zwei Tagen eine überzeugende executive summary zusammen. Ich konnte es kaum erwarten Varoufakis das Dokument präsentieren zu können, denn er würde uns Vorstandsmenschen ja sicher fragen welche thematischen Akzente wir im Wahlkampf setzen würden?
Das Treffen fand an einem Donnerstagabend in „Tarantino’s Bar“ in Berlin-Mitte statt und es waren die Vorstände von DiB und DiE gekommen, einige Bundeskollektiv-Mitglieder, aber auch ein paar Leute vom DSC Berlin.
Ich stand mit einigen Freunden vor der Bar auf der Strasse, als Varoufakis aus dem benachbarten vietnamesischen Restaurant trat und uns allen die Hand schüttelt, mit einem herzlichen "Nice to Meet you". Er hatte eine kleine Entourage dabei, bestehend aus der Regisseurin Angela Richter, dem Philosophen Boris Buden, natürlich DiEM25-Mitgründer Srećko Horvat, Varoufakis rechte Hand Judith Meyer und noch ein paar andere.
Das Treffen war informell. Ich beobachtete die unterschiedlichen Phänotypen der Mitglieder von DiEM25 und Demokratie in Bewegung. Die anwesenden DiB-Menschen waren im Querschnitt Workaholics, Anwält*innen, Mediziner*innen, Mitarbeiter*innen von Bundestagsabgeordneten. Überwiegend attraktive Normies in ordentlicher Kleidung, die man wohl am Casual Friday trug. Die DiEM25er*innen wirkten dagegen wie Uni-Dropouts aus den Geisteswissenschaften in betont lässiger Kleidung, Cargo Pants, Streetwear, Punk oder egal. Teilweise kuschelnd übereinander gestapelt. Und dazwischen der berühmte Ex-Finanzminister und Universitätsprofessor Yanis Varoufakis.
Als sich einige Teilnehmer*innen während der Diskussion mit Handzeichen zu Wort meldeten, sagt Varoufakis das sei nicht nötig, jede*r könne frei sprechen. Das erzeugte ein kleines Durcheinander, so dass ein Kollege sich gezwungen sah die Tatsache anzusprechen, dass eine gute Moderation notwenig sei, da es sonst schnell eine Dominanz der Extrovertierten gäbe.
Mit den neu eingeführten Regeln beruhigte sich die Diskussion etwas. Es wurde darüber gesprochen welche Kandidat*innen ins Rennen geschickt werden sollten und ob Varoufakis denn nun kandieren würde. Varoufakis hielt einen kurzen Vortrag darüber, dass er nicht scharf auf einen Posten im Europaparlament sei und dass er sogar vor jeder Person warnen würde, die einen politischen Posten unbedingt wolle. Man solle eher denen trauen die zögerlich und unentschieden waren. Er habe natürlich ein dickes Telefonbuch mit internationalen Persönlichkeiten, aber das sollten wir nach Möglichkeit nicht nutzen, sondern vielmehr organisch nach geeigneten Kandidat*innen suchen. Wenn er selber unser Spitzenkandidat werden würde, würde er wahrscheinlich nur eine Rede im EU-Parlament halten und dann zurücktreten. Srećko Horvat sagte ihm, dass das keine gute Idee sei, vor allem nicht wahlstrategisch. Er sollte sehr Recht behalten.
Varoufakis wusste natürlich genau, dass wir ihn UNBEDINGT als Kandidaten haben wollten. Nur so würden wir als Kleinstpartei die nötige Aufmerksamkeit bekommen um erfolgreich sein zu können. Außerdem wäre es ein phänomenales Kabinettstückchen wenn Varoufakis ausgerechnet in Deutschland zur Wahl antreten würde. Dies war - so hatten wir schon recherchiert - legal, wenn er denn einen Wohnsitz in Deutschland hätte.
Ich saß während des Abends direkt neben Varoufakis auf einem Schemel. Einen Moment lang - ich hatte mutmaßlich etwas nicht ganz triviales zur Diskussion beigetragen - legte Varoufakis die Hand auf mein Knie und machte eine angedeutete Geste meinen Oberschenkelmuskel zu massieren. Exakt diese Geste hatte mein Vater vor Jahren mal vollführt, in einer der seltenen Momente in denen er mir sagte, dass er stolz auf mich sei. Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt. Ich reflektierte was hier geschah. Idealisierte ich ihn als väterliche Freund oder älteren Bruder? Uns trennen nur 14 Jahre, wie musste es dann erst für die deutlich jüngeren Mitglieder sein?
Ich habe während meiner Zeit bei DiEM25 immer betont, dass Varoufakis eine wichtige Rolle als Vordenker, Gründer und Sprecher der Bewegung habe, aber dass dies auch eine große Gefahr in sich berge. Wenn DiEM25 identisch mit Varoufakis war, dann war die Bewegung auch untrennbar mit seinem persönlichen Schicksal verbunden. Konnte eine progressive, emanzipatorische, transeuropäische Bewegung sich einen solch singuläre, zentrale Führungsfigur leisten?
Um politische Inhalte ging es an diesem Abend jedenfalls nicht. Die Vorschläge zur Technologiepolitik konnte ich nicht unterbringen. Der Abend wurde schnell zwanglos und endete erst in den frühen Morgenstunden.
Ich glaube, dass das Ganze ein geübtes rhetorisches Manöver war. Er ließ typische linke Vorbehalte gegen Hierarchie, Dominanz und Führungsansprüche für sich arbeiten, indem er vorgab selbst Opfer von Ausgrenzung und Zensur zu sein. Sympathisch war das nicht, aber vielleicht notwendig. Ich bin auch der Ansicht, dass demokratische Deliberation einen zeitlichen und thematischen Rahmen haben muss und eine starke Moderation wichtig ist, um zu einem Ergebnis zu kommen. Dass das prominenteste und politisch gewichtigste Mitglied von DiEM25 sich als Underdog inszeniert hatte, schien mir aber keine gute Lösung gewesen zu sein.
Ich kam nicht dazu diese Bedenken weiter zu reflektieren, da uns kurze Zeit später mitgeteilt wurde, dass Varoufakis in Berlin sei und sich mit dem Vorstand des Wahlflügels und dem Bundeskollektiv treffen wolle. Ich sah dies als ideale Gelegenheit ihm unsere Arbeit am Technologiepapier und dessen Relevanz für den kommenden deutschen Europawahlkampf zu präsentieren.
Ich wusste aus verschiedenen Erfahrungen in der Medienbranche, dass man dies am Besten in Form eines Elevator Pitch macht. Die Grundannahme beim Elevator Pitch ist, dass man eine(n) wichtige(n) Produzenten/in oder Redakteur*in im Aufzug trifft und sechzig Sekunden Zeit hat seine Idee so zu präsentieren, dass die Person mehr hören möchte. Ich setzte mich also in die Bibliothek und versuchte die Berge an Dokumenten die wir erzeugt hatten auf drei oder vier One-Pager zu verdichten und diese dann wieder auf eine DIN-A4-Seite zu kürzen. Wir hatten bereits den ersten Entwurf des Policy Papers veröffentlicht und waren dafür auch heftig kritisiert worden. Die Basis des Papier bildeten ca. 30 Einsendungen, die Mitglieder aufgrund von einem kollektiv erstellten Fragebogen gemacht hatten.
Ich hatte ein Kapitel über die utopischen Hoffnungen verfasst, die das Internet in den 1990ern ausgelöst hatte. Das heutige Internet, so meine These, hatte all diese Versprechungen verraten und wir müssten ein neues Internet schaffen das die Ideen von rhizomatischer Vernetzung und horizontaler Kommunikation verwirklichte und die Eroberung von anarchistischen Freiräumen zur Grundlage hatte. Dann folgten etwas holprig zusammengestellte konkrete Politikvorschläge. Das Kapitel musste gründlich überarbeitet werden, aber glücklicherweise hatten meine Mitautor*innen gute Arbeit geleistet und ich hatte nach zwei Tagen eine überzeugende executive summary zusammen. Ich konnte es kaum erwarten Varoufakis das Dokument präsentieren zu können, denn er würde uns Vorstandsmenschen ja sicher fragen welche thematischen Akzente wir im Wahlkampf setzen würden?
Das Treffen fand an einem Donnerstagabend in „Tarantino’s Bar“ in Berlin-Mitte statt und es waren die Vorstände von DiB und DiE gekommen, einige Bundeskollektiv-Mitglieder, aber auch ein paar Leute vom DSC Berlin.
Ich stand mit einigen Freunden vor der Bar auf der Strasse, als Varoufakis aus dem benachbarten vietnamesischen Restaurant trat und uns allen die Hand schüttelt, mit einem herzlichen "Nice to Meet you". Er hatte eine kleine Entourage dabei, bestehend aus der Regisseurin Angela Richter, dem Philosophen Boris Buden, natürlich DiEM25-Mitgründer Srećko Horvat, Varoufakis rechte Hand Judith Meyer und noch ein paar andere.
Das Treffen war informell. Ich beobachtete die unterschiedlichen Phänotypen der Mitglieder von DiEM25 und Demokratie in Bewegung. Die anwesenden DiB-Menschen waren im Querschnitt Workaholics, Anwält*innen, Mediziner*innen, Mitarbeiter*innen von Bundestagsabgeordneten. Überwiegend attraktive Normies in ordentlicher Kleidung, die man wohl am Casual Friday trug. Die DiEM25er*innen wirkten dagegen wie Uni-Dropouts aus den Geisteswissenschaften in betont lässiger Kleidung, Cargo Pants, Streetwear, Punk oder egal. Teilweise kuschelnd übereinander gestapelt. Und dazwischen der berühmte Ex-Finanzminister und Universitätsprofessor Yanis Varoufakis.
Als sich einige Teilnehmer*innen während der Diskussion mit Handzeichen zu Wort meldeten, sagt Varoufakis das sei nicht nötig, jede*r könne frei sprechen. Das erzeugte ein kleines Durcheinander, so dass ein Kollege sich gezwungen sah die Tatsache anzusprechen, dass eine gute Moderation notwenig sei, da es sonst schnell eine Dominanz der Extrovertierten gäbe.
Mit den neu eingeführten Regeln beruhigte sich die Diskussion etwas. Es wurde darüber gesprochen welche Kandidat*innen ins Rennen geschickt werden sollten und ob Varoufakis denn nun kandieren würde. Varoufakis hielt einen kurzen Vortrag darüber, dass er nicht scharf auf einen Posten im Europaparlament sei und dass er sogar vor jeder Person warnen würde, die einen politischen Posten unbedingt wolle. Man solle eher denen trauen die zögerlich und unentschieden waren. Er habe natürlich ein dickes Telefonbuch mit internationalen Persönlichkeiten, aber das sollten wir nach Möglichkeit nicht nutzen, sondern vielmehr organisch nach geeigneten Kandidat*innen suchen. Wenn er selber unser Spitzenkandidat werden würde, würde er wahrscheinlich nur eine Rede im EU-Parlament halten und dann zurücktreten. Srećko Horvat sagte ihm, dass das keine gute Idee sei, vor allem nicht wahlstrategisch. Er sollte sehr Recht behalten.
Varoufakis wusste natürlich genau, dass wir ihn UNBEDINGT als Kandidaten haben wollten. Nur so würden wir als Kleinstpartei die nötige Aufmerksamkeit bekommen um erfolgreich sein zu können. Außerdem wäre es ein phänomenales Kabinettstückchen wenn Varoufakis ausgerechnet in Deutschland zur Wahl antreten würde. Dies war - so hatten wir schon recherchiert - legal, wenn er denn einen Wohnsitz in Deutschland hätte.
Ich saß während des Abends direkt neben Varoufakis auf einem Schemel. Einen Moment lang - ich hatte mutmaßlich etwas nicht ganz triviales zur Diskussion beigetragen - legte Varoufakis die Hand auf mein Knie und machte eine angedeutete Geste meinen Oberschenkelmuskel zu massieren. Exakt diese Geste hatte mein Vater vor Jahren mal vollführt, in einer der seltenen Momente in denen er mir sagte, dass er stolz auf mich sei. Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt. Ich reflektierte was hier geschah. Idealisierte ich ihn als väterliche Freund oder älteren Bruder? Uns trennen nur 14 Jahre, wie musste es dann erst für die deutlich jüngeren Mitglieder sein?
Ich habe während meiner Zeit bei DiEM25 immer betont, dass Varoufakis eine wichtige Rolle als Vordenker, Gründer und Sprecher der Bewegung habe, aber dass dies auch eine große Gefahr in sich berge. Wenn DiEM25 identisch mit Varoufakis war, dann war die Bewegung auch untrennbar mit seinem persönlichen Schicksal verbunden. Konnte eine progressive, emanzipatorische, transeuropäische Bewegung sich einen solch singuläre, zentrale Führungsfigur leisten?
Um politische Inhalte ging es an diesem Abend jedenfalls nicht. Die Vorschläge zur Technologiepolitik konnte ich nicht unterbringen. Der Abend wurde schnell zwanglos und endete erst in den frühen Morgenstunden.