2.2. Im Vorstand
4 years ago by Subliminal_Guy
Ob man Vorstandsmitglied einer etablierten Partei oder auch Kleinpartei oder Vorstandsmitglied einer eben erst unter faktischem Ausschluss der Öffentlichkeit gegründeten Sonstigen politischen Vereinigung ist, macht einen nicht unerheblichen Unterschied. Erstmal hatten wir dem Akronym-Kosmos von DiEM25 nur ein weiteres (oder eher drei weitere) hinzugefügt: Wir hießen fortan die SPV (sonstige politische Vereinigung), der EW (Electoral Wing, dt.: Wahlflügel) oder DiE (DEMOKRATIE IN EUROPA). Dass die Abkürzung DiE in einer vorwiegend englischsprachigen Bewegung nicht so catchy ist, fiel uns leider zu spät auf.
Unser Vorstandsvorsitzender Jasper Finkeldey löste in der linken Bubble ein wenig Aufmerksamkeit aus, auch weil er jung, attraktiv und langhaarig wohl eher Aufbruch signalisierte, als die traurig Saalbau-Veranstaltung befürchten ließ.
Am Tag nach der Parteigründung traf ich übernächtigt in Berlin ein um den Workshop "Creative Resistance" zu veranstalten, indem die kreativen Mitglieder von DiEM25 tätig werden sollten. Leider wollte die Euphorie rein gar nicht überspringen. Die Parteigründung wurde als kontraproduktiv empfunden und schon gar nicht wollte man künstlerischen Aktivismus in den Dienst einer Partei stellen. Vielleicht noch nicht mal in den Dienst einer Bewegung.
Ich konnte die Argumente nachvollziehen, ich hatte vor zehn Jahren auch so gedacht: Unruhe erzeugen, den Verhältnissen für einen kurzen Moment den Schleier herunterreißen, Konstruktion von paradoxen Situationen, die einen Moment der Reflektion ermöglichen. Die solchermaßen wachgerüttelten Subjekte würden sich dann schon den Verhältnissen entgegenstemmen. Jetzt dachte ich anders. Politisches Bewusstsein musste meiner Ansicht nach auch durch die inhaltlichen Angebote einer Partei oder Bewegung konstruiert und organisiert werden. Die Veranstaltung endete mit viel Input und wenig konkreten Ideen, auch weil jede(r) etwas anderes unter kreativem Widerstand verstand.
Im Wahlflügel-Vorstand waren wir weit davon entfernt inhaltliche Angebote an unsere Mitglieder und potentiellen Wähler*innen zu machen. Wir brauchten Monate um uns in wöchentlichen 3-4 stündigen Zoom-Konferenzen als Kollektiv zu finden. Wir betonten oft, dass die Vorsitzenden nur symbolische Ämter bekleideten, aber natürlich richtete sich das spärliche mediale Interesse in erster Linie auf unseren Vorsitzenden. Und dann waren da ja noch die Gründungsmitglieder.
Es dauert nicht einmal eine Woche bis erste Gerüchte im Umlauf waren, ein Vorstandsmitglied sei der AfD inhaltlich nahe, wenn nicht sogar ein Maulwurf. Wir trafen die im Rückblick sehr ungünstige Entscheidung dieses Mitglied erstmal aus den Entscheidungsstrukturen zu entfernen. Es war wohl auch ein Symptom der eigenen wahrgenommenen Relevanz, das uns so handeln ließ. Danach verschwand ein weiteres Vorstandsmitglied temporär, aus Protest über unsere Entscheidung. Auf den verantwortungsvollen Umgang mit vermeintlichen oder realen Spitzeln und agents provocateurs in politischen Gruppen werde ich später noch zurückkommen.
Unser Mandat war im Prinzip recht prosaisch: Wir sollten alle nötigen Maßnahmen in die Wege leiten um im Herbst 2018 die Aufstellungsversammlung vorzubereiten und den Wahlflügel für den dann durch einen AMV (wir erinnern uns: All-Member Vote) durch alle europäischen Mitglieder gewählten Vorstand fit zu machen. Alleine die Eröffnung eines Bankkontos - natürlich bei der ethisch unbedenklichen GLS-Bank - dauert fast zwei Monate. Das ehrgeizige inhaltliche Programm trat schnell in den Hintergrund auch weil wir ja programmatisch an die sich gerade entwickelnde Agenda des European Spring gebunden waren.
Auf den European Spring-Treffen tummelten sich u.a. Politikprofis wie der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon, der portugiesische EU-Parlamentarier Rui Tavares und später auch der prominente spanische Richter Baltasar Garzón von Actúa. Trotzdem fehlten die ganz großen Namen der europäischen Linken: Warum war Podemos zum Beispiel nicht dabei, La France Insoumise oder Die Linke? Die anfänglichen Kontaktversuche von Varoufakis waren ergebnislos geblieben. Dafür hatte uns das Treffen in Paris vor eine neue Aufgabe gestellt: Die deutsche Kleinpartei DiB - Demokratie in Bewegung - hatte sich für eine Teilnahme am European Spring beworben, war aber kalt davon überrascht worden, dass DiEM25 fast zeitgleich einen eigenen Wahlflügel gegründet hatten. So wurde uns aufgetragen die Mitglieder von DiB in unseren Strukturen zu integrieren und DiB wurde unter der Kondition in den European Spring aufgenommen mit uns zu kooperieren. Eine Situation die mir einen ordentlichen Knoten im Kopf erzeugte:
Einerseits war da nun DEMOKRATIE IN EUROPA, ein Wahlflügel der programmatische Positionen übernehmen sollte die gemeinsam im Rahmen eines Parteienbündnisses namens European Spring erarbeitet wurden. Und Demokratie in Bewegung - deren herausragendstes Merkmal eine basisdemokratische Entscheidungsfindung war - konnte gleichermaßen Positionen erstellen, diese in den European Spring einbringen und dort gemeinsam mit allen anderen abstimmen. Ich glaube nicht, dass abgesehen von uns Vorstandsmitgliedern jemand verstanden hat wie das funktionieren sollte. Wir brauchten ja selber mehrere vierstündige wöchentliche Zooms um das zu verstehen.
Im Prinzip konnte jedes Mitglied Policy-Vorschläge auf einer eigens dafür eingerichteten Website machen, die dann von einem Policy-Koordinator mit den Vorschlägen aller anderen Parteien koordiniert wurden. Eigenständiges Handeln im Wahlflügel war beinahe unmöglich, da wir laut DiEM25s Organisationsprinzipien nicht das Mandat hatten inhaltliche oder strukturelle Absprachen mit Demokratie in Bewegung zu treffen, sondern immer unser Kontaktpersonen vom Coordinating Collective fragen mussten.
Die Hälfte der monatlichen Berliner DSC Treffen ging dafür drauf den Mitgliedern zu erklären was denn der European Spring sei, wer der Wahlflügel und wer Demokratie in Bewegung. Das war ein grober Konstruktions- und Kommunikationsfehler so kurz vor der Europawahl, der das Vertrauen der Mitglieder in unsere Arbeit und die Außenkommunikation sehr belastete.
In seinem Artikel für das ephemerajournal schreibt der ehemalige Vorstandsvorsitzende Jasper Finkeldey:
Unser Vorstandsvorsitzender Jasper Finkeldey löste in der linken Bubble ein wenig Aufmerksamkeit aus, auch weil er jung, attraktiv und langhaarig wohl eher Aufbruch signalisierte, als die traurig Saalbau-Veranstaltung befürchten ließ.
Am Tag nach der Parteigründung traf ich übernächtigt in Berlin ein um den Workshop "Creative Resistance" zu veranstalten, indem die kreativen Mitglieder von DiEM25 tätig werden sollten. Leider wollte die Euphorie rein gar nicht überspringen. Die Parteigründung wurde als kontraproduktiv empfunden und schon gar nicht wollte man künstlerischen Aktivismus in den Dienst einer Partei stellen. Vielleicht noch nicht mal in den Dienst einer Bewegung.
Ich konnte die Argumente nachvollziehen, ich hatte vor zehn Jahren auch so gedacht: Unruhe erzeugen, den Verhältnissen für einen kurzen Moment den Schleier herunterreißen, Konstruktion von paradoxen Situationen, die einen Moment der Reflektion ermöglichen. Die solchermaßen wachgerüttelten Subjekte würden sich dann schon den Verhältnissen entgegenstemmen. Jetzt dachte ich anders. Politisches Bewusstsein musste meiner Ansicht nach auch durch die inhaltlichen Angebote einer Partei oder Bewegung konstruiert und organisiert werden. Die Veranstaltung endete mit viel Input und wenig konkreten Ideen, auch weil jede(r) etwas anderes unter kreativem Widerstand verstand.
Im Wahlflügel-Vorstand waren wir weit davon entfernt inhaltliche Angebote an unsere Mitglieder und potentiellen Wähler*innen zu machen. Wir brauchten Monate um uns in wöchentlichen 3-4 stündigen Zoom-Konferenzen als Kollektiv zu finden. Wir betonten oft, dass die Vorsitzenden nur symbolische Ämter bekleideten, aber natürlich richtete sich das spärliche mediale Interesse in erster Linie auf unseren Vorsitzenden. Und dann waren da ja noch die Gründungsmitglieder.
Es dauert nicht einmal eine Woche bis erste Gerüchte im Umlauf waren, ein Vorstandsmitglied sei der AfD inhaltlich nahe, wenn nicht sogar ein Maulwurf. Wir trafen die im Rückblick sehr ungünstige Entscheidung dieses Mitglied erstmal aus den Entscheidungsstrukturen zu entfernen. Es war wohl auch ein Symptom der eigenen wahrgenommenen Relevanz, das uns so handeln ließ. Danach verschwand ein weiteres Vorstandsmitglied temporär, aus Protest über unsere Entscheidung. Auf den verantwortungsvollen Umgang mit vermeintlichen oder realen Spitzeln und agents provocateurs in politischen Gruppen werde ich später noch zurückkommen.
Unser Mandat war im Prinzip recht prosaisch: Wir sollten alle nötigen Maßnahmen in die Wege leiten um im Herbst 2018 die Aufstellungsversammlung vorzubereiten und den Wahlflügel für den dann durch einen AMV (wir erinnern uns: All-Member Vote) durch alle europäischen Mitglieder gewählten Vorstand fit zu machen. Alleine die Eröffnung eines Bankkontos - natürlich bei der ethisch unbedenklichen GLS-Bank - dauert fast zwei Monate. Das ehrgeizige inhaltliche Programm trat schnell in den Hintergrund auch weil wir ja programmatisch an die sich gerade entwickelnde Agenda des European Spring gebunden waren.
Auf den European Spring-Treffen tummelten sich u.a. Politikprofis wie der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon, der portugiesische EU-Parlamentarier Rui Tavares und später auch der prominente spanische Richter Baltasar Garzón von Actúa. Trotzdem fehlten die ganz großen Namen der europäischen Linken: Warum war Podemos zum Beispiel nicht dabei, La France Insoumise oder Die Linke? Die anfänglichen Kontaktversuche von Varoufakis waren ergebnislos geblieben. Dafür hatte uns das Treffen in Paris vor eine neue Aufgabe gestellt: Die deutsche Kleinpartei DiB - Demokratie in Bewegung - hatte sich für eine Teilnahme am European Spring beworben, war aber kalt davon überrascht worden, dass DiEM25 fast zeitgleich einen eigenen Wahlflügel gegründet hatten. So wurde uns aufgetragen die Mitglieder von DiB in unseren Strukturen zu integrieren und DiB wurde unter der Kondition in den European Spring aufgenommen mit uns zu kooperieren. Eine Situation die mir einen ordentlichen Knoten im Kopf erzeugte:
Einerseits war da nun DEMOKRATIE IN EUROPA, ein Wahlflügel der programmatische Positionen übernehmen sollte die gemeinsam im Rahmen eines Parteienbündnisses namens European Spring erarbeitet wurden. Und Demokratie in Bewegung - deren herausragendstes Merkmal eine basisdemokratische Entscheidungsfindung war - konnte gleichermaßen Positionen erstellen, diese in den European Spring einbringen und dort gemeinsam mit allen anderen abstimmen. Ich glaube nicht, dass abgesehen von uns Vorstandsmitgliedern jemand verstanden hat wie das funktionieren sollte. Wir brauchten ja selber mehrere vierstündige wöchentliche Zooms um das zu verstehen.
Im Prinzip konnte jedes Mitglied Policy-Vorschläge auf einer eigens dafür eingerichteten Website machen, die dann von einem Policy-Koordinator mit den Vorschlägen aller anderen Parteien koordiniert wurden. Eigenständiges Handeln im Wahlflügel war beinahe unmöglich, da wir laut DiEM25s Organisationsprinzipien nicht das Mandat hatten inhaltliche oder strukturelle Absprachen mit Demokratie in Bewegung zu treffen, sondern immer unser Kontaktpersonen vom Coordinating Collective fragen mussten.
Die Hälfte der monatlichen Berliner DSC Treffen ging dafür drauf den Mitgliedern zu erklären was denn der European Spring sei, wer der Wahlflügel und wer Demokratie in Bewegung. Das war ein grober Konstruktions- und Kommunikationsfehler so kurz vor der Europawahl, der das Vertrauen der Mitglieder in unsere Arbeit und die Außenkommunikation sehr belastete.
In seinem Artikel für das ephemerajournal schreibt der ehemalige Vorstandsvorsitzende Jasper Finkeldey:
„Bei einer Reihe von Kampagnenaktionen sorgten unterschiedliche Logos und Botschaften manchmal für Verwirrung bei den Wählern. Als ich mit einem potenziellen Wähler über die transnationale Struktur und die internationalen Unterstützer von DiEM25 sprach, kommentierte er, dass die Kampagne eher wie ein "Kunstprojekt" klang.“Unser nächster Schritt war nun die Sondierungsgespräche mit Demokratie in Bewegung zu führen und bei dieser Gelegenheit hatte ich dann auch meine erste (Online-)Begegnung mit Yanis Varoufakis.
Subliminal_Guy
4 years ago
Wir können drüber reden :-)