2.1. Demokratie in Europa

4 years ago by Subliminal_Guy

Der European Spring oder Europäischer Frühling war eine geplante Allianz von europäischen Parteien die unter dem Mantel von DiEM25 mit einem gemeinsamen Programm zur Europawahl 2019 antreten sollten. Auf dem ersten Treffen in Neapel am 10. März 2018 wurde ein provisorisches Council gegründet, mit Mitgliedern der portugiesischen Partei LIVRE, der polnischen Partei Razem, der dänischen Alternativet, DemA aus Italien und Génération.s aus Frankreich. Außerdem die von DiEM25 in Griechenland selbst gegründeten Partei MeRA25. Eingeladen war auch ein Mitglied des Bundeskollektivs von DiEM25 in Deutschland, da auch dort ein Wahlflügel gegründet werden sollte. Man einigte sich auf einen offenen Aufruf an alle Parteien auf einer transnationalen Liste für die Europawahl 2019 anzutreten.
Für das zweite Council Meeting in Lissabon hatte Yanis Varoufakis einen offenen Brief an Gregor Gysi (Die Linke), Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise), Pablo Iglesias (Podemos) und Catarina Martins (Bloco) geschrieben, mit der Einladung einer gemeinsamen, transnationalen Liste beizutreten und eine paneuropäische Bewegung zu diskutieren. Trotz anfänglichem Interesse trat keine der größeren linken Parteien dem Bündnis European Spring - wie es seit Lissabon hieß - bei.
Von der Idee nun tatsächlich eine Partei in Deutschland gründen zu wollen erfuhr ich im April 2018. Ich hörte von erbitterten Auseinandersetzungen im deutschen Bundeskollektiv. Die einen konnten es kaum erwarten eine Partei zu gründen, die anderen hatten Angst, dass die Bündnisse mit anderen Bewegungen und mit der Partei "Die Linke“ durch diese Entscheidung zerstört werden könnten. Wie sollte man das "Not Just Another Party"-Modell an die Menschen vermitteln, die parlamentarischer Politik sehr kritisch gegenüberstanden?
Ich las gerade ein schmales Interviewbändchen mit Srećko Horvat, Mitbegründer von DiEM25, in dem Horvat die Dialektik zwischen vertikalen und horizontalen Strukturen beschreibt:
„(…) die größte Stärke der direkten Demokratie kann gleichzeitig auch der größte Feind der direkten Demokratie sein. (...) Die positive Seite der Horizontalität ist, dass Menschen gemeinsam entscheiden (...) Aber an einem Punkt kann es kontraproduktiv werden, weil nicht alle Menschen über alle Dinge diskutieren und entscheiden können. (...) Was machen wir also? Wir bilden Arbeitsgruppen. (...) Ich denke, wenn dieser Prozess beginnt, dann fängt man schon an 'Horizontalität' und 'Vertikalität' zu verbinden.“ [1]
Horvat zufolge können außerparlamentarische Bewegungen und parlamentarische Vertretungen in fruchtbare Wechselwirkung miteinander treten und müssen dies auch tun um nicht als ausgebrannte Grassroots-Organisation oder in der Real- und Tagespolitik gefangene Partei zu enden. Er wurde mehrfach mit den Worten zitiert, dass er im Europaparlament Politik machen und gleichzeitig gegen die Entscheidungen des Europaparlament auf die Straße gehen würde.
"Ich sehe nicht, dass der 'natürliche' Verlauf vom Protest zu Occupy (Wallstreet, Anm. d. Verf.), von Occupy zu Volksversammlungen sein muss, und wenn man dann diese Grenze der Horizontalität erreicht, muss man eine politische Partei gründen. (...) was wir tun sollten, ist eine Organisation zu entwickeln, (...) in der man eine funktionierende Dialektik zwischen 'Vertikalität' und 'Horizontalität' zur gleichen Zeit haben kann.“ [2]
Es waren solche und ähnliche intellektuelle Konstruktionen die mich mit der Idee eines Wahlflügels und auch mit anderen Unstimmigkeiten innerhalb DiEM25s immer wieder versöhnten. Die Debatten in der Bewegung bildeten die Diskurse ab, die in den klugen Büchern von einschlägigen progressiven und linken Autor*innen diskutiert wurden. Oder zumindest schien es mir so.
Zur selben Zeit las ich auch "Die Zukunft erfinden" von Nick Srnicek und Alex Williams in dem die Autoren mit basisdemokratischen Bewegungen wie "Occupy Wallstreet" hart ins Gericht gehen. Diese seien bloß "Ventile angestauter Frustration" und spektakuläre Events würden der anstrengenden Suche nach Alternativen und dem Aufbau neuer Strukturen vorgezogen. Sie plädieren für ein breites Bündnis aus vertikal und horizontal organisierten Organisationen, da mit romantischen "folk politics“ nachweislich nichts auszurichten sei. Ich beschloss also für einen neuen, alternativen, radikalen Weg offen zu sein, und das Verhältnis zwischen Parlament und Straße neu zu denken.
Als mich am ersten Mai ein Mitglied des Bundeskollektivs fragte, ob ich nicht für den Parteivorstand kandidieren wolle, fühlte ich mich zwar geschmeichelt, sagte aber, dass ich für Satzungen und den ganzen Papierkram nicht viel übrig hätte. Aber dann: Wie oft hat man schon die Gelegenheit Parteivorstand zu werden und dann auch noch innerhalb einer Bewegung von Yanis Varoufakis?
Die Gründungsversammlung von DEMOKRATIE IN EUROPA - der Name wurde vorher durch einen All-Member Vote abgestimmt - fand am 2. Juni 2018 in einem altbackenen Saalbau in der Nähe von Frankfurt am Main statt. Ich buchte also wieder ein Zugticket nach Frankfurt mit dem Vorsatz die Parteigründung zumindest kritisch zu beobachten.
Auf dem Weg vom Hotel zum Veranstaltungsort traf ich auf R., einen jungen Unternehmensberater und Mitglied des Bundeskollektivs. Er war sichtlich aufgeregt und ich merkte, dass das Ganze auch für mich eine gewisse Bedeutung bekam. Wir verpassten unser Haltestelle und mussten ein Taxi zum Veranstaltungsort nehmen. R., der vorne saß, begann ein Gespräch mit dem Taxifahrer, der sich über seine schwere Lage beklagte. R. sagte ihm, dass wir gerade im Begriff seien eine Partei zu gründen, die Leuten wie ihm helfen würde. Ich versank fast vor Scham auf dem Rücksitz. Woher nahm der junge Kollege diesen Optimismus?
Die Veranstaltung selber ließ jedenfalls jeden revolutionären oder progressiven Spirit vermissen. Frontale Veranstaltung mit Wahlhelfer*innen und Versammlungsleiter*innen und Tischreihen, auf denen nur noch die Bierkrüge fehlten. Allein das vorwiegend jüngere Alter der Teilnehmer*innen ließ ahnen, dass hier nicht die SPD tagte. K., der konspirative Weizenbiertrinker des Frankfurter Meetings im Herbst, hielt die Einführungsrede und sagte etwas wie "der Schwanz könne jetzt auch mit dem Hund wackeln".
Was er damit meinte war, dass eine Partei - oder korrekt gesagt eine Sonstige politische Vereinigung, wie das gewählte Konstrukt im Amtsdeutsch hieß - auch Einfluß auf die europäische Bewegung DiEM25 nehmen könne. Sofort gingen meine Alarmglocken an. Hier sollte dann doch wieder eine bierernste nationale Partei gegründet werden. Ich schob die Schuld auf die "Frankfurter Gruppe", einem imaginären Verband von Männern über Fünfzig, die nicht verstanden, was hier an Internationaler Solidarität und neuartiger demokratischer Struktur auf dem Spiel stand. Das Parteiengesetz sagte mir damals noch gar nichts.
Bei der gemeinsamen Lesung der Satzung ging einiges durcheinander. Wollten die europäischen Mitglieder jetzt 2, 3 oder 50% Bundeskollektiv-Leute im Vorstand? Wieviel Mitglieder sollte der Vorstand haben? Weiche oder harte Frauenquote? In diese Punkte wurde maximale Relevanz projiziert und mit großem Palaver einigten wir uns am Schluß auf 15 Vorstandsmitglieder mit weicher Frauenquote und "möglichst" 50% Bundeskollektiv-Mitgliedern im Vorstand. Kurz nachdem zur Kandidatur aufgerufen wurde entschloss ich mich auch zu kandidieren. Und wurde gewählt.
Ich verpasste meinen Zug, buchte auf einen Nachtbus nach Berlin um und verließ gegen 21 Uhr leicht angetrunken den Saalbau. Ich war jetzt Vorstandsmitglied von DEMOKRATIE IN EUROPA.
[1] "Advancing Conversations: Srećko Horvat Subversion!", zero books 2017, S.19 f.
[2] Ebd. S.23 f.
(Deutsche Übersetzung vom Autor)
Daniel

Daniel

4 years ago

Really interesting! thanks for the insights