1.2. DSC Berlin
4 years ago by Subliminal_Guy
Zurück in Berlin beschloss ich zum nächsten monatlichen Treffen des DSC1 Berlin zu gehen. Es gab zwei DSCs in Berlin, das DSC1 und das DSC42. Da nur das erste einen twitter-Account hatte, auf dem die Treffen angekündigt wurden, fiel die Wahl leicht.
Es war Anfang November 2017 und das Treffen fand in einer runtergerockten Loft-Etage am Mehringdamm in Kreuzberg statt. Es gab drei Reihen Stühle und auf einem Beamer prangte das Logo vom DSC Berlin. Ich erkannte drei oder vier Leute wieder, die ich schon in Frankfurt gesehen hatte. Die meisten waren zwischen 25 und 35 Jahre alt und dem Klientel das im Café Morgenrot verkehrte - einer linken Szenekneipe in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg - nicht unähnlich.
Der Charme oszillierte zwischen einem Treffen der Anonymen Alkoholiker und einem Diaabend der Fakultät Regionalwissenschaften Lateinamerika. Sehr sympathische Leute, auch ein paar ältere Semester - also Rentner - waren da.
Der Koordinator des Abends war gerade dabei seine Koordination abzugeben. Ein Mann Anfang Fünfzig, der mir sofort als dominanter Charakter aufgefallen war, bewarb sich um die Nachfolge, nicht ohne aber mehrfach die anderen Teilnehmer*innen zu ermuntern sich auch zu bewerben.
Im Endeffekt wurde es eine (männliche) Doppelspitze. Keine der wenigen anwesenden Frauen bekundete Interesse an der Tätigkeit. Eine nervöse Minute lang hatte ich selber darüber nachgedacht mich zu bewerben, es schien mir dann aber selber lächerlich früh zu sein.
Den Vortrag über das DSC Treffen in Frankfurt hielt ein Mann, den ich ebenfalls bereits aus Frankfurt kannte. Er war oldschool as fuck. Ein lupenreiner Demokrat, glühender Verfechter der Idee der europäischen Republik und immer ein Alexander von Humboldt- oder Hannah Arendt-Zitat auf den Lippen.
Der Bericht endete mit einem abgewandelten John-Lennon-Zitat: "You may say i'm a DiEM25er, but i'm not the only one."
Das eigentliche Thema des Abends war die gerade zum Abschluss gekommene Wahlflügel-Abstimmung. Alle Mitglieder von DiEM25 hatten in einem AMV (DiEM25-Jargon für All-Member Vote) - darüber abgestimmt ob DiEM25 als "Not Just Another Party" nationale Parteien gründen sollte.
Was mir aufgefallen war: Für eine Bewegung die 100.000 Mitglieder in ganz Europa für sich reklamierte hatten erstaunlich wenige abgestimmt, nämlich nur circa 7000. Außerdem variierte die Zahl der Stimmberechtigten offenbar von Abstimmung zu Abstimmung.
Ich meldete mich zu Wort und fragte wie es denn sein könne, dass nur so wenige abgestimmt hatten und dass es außerdem einen auffälligen Bias bei der Präsentation der verschiedenen Vorschläge gegeben hatte.
Mein Ziel war mich mit einer Mischung aus Informiertheit und kritischer Grundhaltung als ernstzunehmendes Mitglied zu framen. Es schien zu funktionieren, denn wir redeten eine ganze Weile über diese Angelegenheit. Zum Abschluss des Abends wurden die einzelnen Taskforces des DSCs vorgestellt.
Es gab offenbar eine Arbeitsgruppe (Taskforce) für den European New Deal - ein aus der Feder von Varoufakis stammendes ökonomisches Reformpapier -, eine für Transparenz, eine für Migration und eine für die europäische Konstitution. Das gefiel mir. Hier wurde nicht nur zwei Stunden über Politik räsoniert, sondern richtig gearbeitet.
Wenn dass die Basis der Bewegung war, dass überall in Europa in diesen Kleingruppen an diesen Fragen gearbeitet wurde, dann war das schon beeindruckend. Der Grad an Koordination musste enorm sein, denn wie gewährleistete man, dass nicht redundant oder gar inkompatibel gearbeitet wurde?
Ich nahm an, dass sich die Koordinator*innen der Arbeitsgruppen in regelmäßigen Zoomkonferenzen austauschten und In- und Output koordinierten. In dieser Struktur würde ich bestimmt einen produktiven Platz finden.
Außerdem wurde mehrfach die Plattform Mattermost erwähnt, eine Open-Source-Alternative zu Slack - einem webbasierten Instant-Messaging-Dienst. Eine Slack-Instanz gab es auch, aber die wollte man gerade zugunsten von Mattermost verlassen, da man die bewegungsinterne Kommunikation nicht auf einer Konzern-Plattform führen wollte.
Dort konnte also die ganze horizontale Koordination stattfinden. Auch das klang neu und aufregend. Instrumentelle Vernunft, aktuelle Tools und Methoden im Dienst der progressiven Sache.
Der leicht steife Mix aus Gewerkschaftslinke und Hippie-Esoterik, den ich in Frankfurt wahrzunehmen meinte, war vergessen. Außerdem winkte die Möglichkeit mit Linken und Progressiven aus anderen europäischen Ländern in Kontakt zu kommen. Vielleicht würde ich ja sogar Kontakte nach Andalusien knüpfen können. Ich war euphorisch. Diese ganze Sache schien gut durchdacht, ambitioniert und zog diese sympathischen und motivierten Menschen an, die danach auch noch zusammen ein Bier am Späti trinken gingen.
Ich ging erstmal nicht mit, ich musste die Erfahrungen erstmal auf mich wirken lassen und meine nächsten Schritte planen. Auf der Webseite von DiEM25 erfuhr ich noch an diesem Abend, dass DiEM25 sich zur Aufgabe gemachte hatte sieben thematisch Säulen - die sogenannten Pillars - mit Politikvorschlägen zu füllen. Diese Säulen waren - zum damaligen Zeitpunkt: Europäische Konstitution, Transparenz, Internet of People, Migration, European New Deal, Arbeit und Ökologie.
Ausformuliert war bis dato nur ein Pillar, der schon erwähnte European New Deal, eine Mischung aus den Ideen, die Varoufakis als griechischer Finanzminister entwickelt hatte und seinem mit James K. Galbraith und Stuart Holland verfassten Traktat A Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis.
Es war Anfang November 2017 und das Treffen fand in einer runtergerockten Loft-Etage am Mehringdamm in Kreuzberg statt. Es gab drei Reihen Stühle und auf einem Beamer prangte das Logo vom DSC Berlin. Ich erkannte drei oder vier Leute wieder, die ich schon in Frankfurt gesehen hatte. Die meisten waren zwischen 25 und 35 Jahre alt und dem Klientel das im Café Morgenrot verkehrte - einer linken Szenekneipe in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg - nicht unähnlich.
Der Charme oszillierte zwischen einem Treffen der Anonymen Alkoholiker und einem Diaabend der Fakultät Regionalwissenschaften Lateinamerika. Sehr sympathische Leute, auch ein paar ältere Semester - also Rentner - waren da.
Der Koordinator des Abends war gerade dabei seine Koordination abzugeben. Ein Mann Anfang Fünfzig, der mir sofort als dominanter Charakter aufgefallen war, bewarb sich um die Nachfolge, nicht ohne aber mehrfach die anderen Teilnehmer*innen zu ermuntern sich auch zu bewerben.
Im Endeffekt wurde es eine (männliche) Doppelspitze. Keine der wenigen anwesenden Frauen bekundete Interesse an der Tätigkeit. Eine nervöse Minute lang hatte ich selber darüber nachgedacht mich zu bewerben, es schien mir dann aber selber lächerlich früh zu sein.
Den Vortrag über das DSC Treffen in Frankfurt hielt ein Mann, den ich ebenfalls bereits aus Frankfurt kannte. Er war oldschool as fuck. Ein lupenreiner Demokrat, glühender Verfechter der Idee der europäischen Republik und immer ein Alexander von Humboldt- oder Hannah Arendt-Zitat auf den Lippen.
Der Bericht endete mit einem abgewandelten John-Lennon-Zitat: "You may say i'm a DiEM25er, but i'm not the only one."
Das eigentliche Thema des Abends war die gerade zum Abschluss gekommene Wahlflügel-Abstimmung. Alle Mitglieder von DiEM25 hatten in einem AMV (DiEM25-Jargon für All-Member Vote) - darüber abgestimmt ob DiEM25 als "Not Just Another Party" nationale Parteien gründen sollte.
Was mir aufgefallen war: Für eine Bewegung die 100.000 Mitglieder in ganz Europa für sich reklamierte hatten erstaunlich wenige abgestimmt, nämlich nur circa 7000. Außerdem variierte die Zahl der Stimmberechtigten offenbar von Abstimmung zu Abstimmung.
Ich meldete mich zu Wort und fragte wie es denn sein könne, dass nur so wenige abgestimmt hatten und dass es außerdem einen auffälligen Bias bei der Präsentation der verschiedenen Vorschläge gegeben hatte.
Mein Ziel war mich mit einer Mischung aus Informiertheit und kritischer Grundhaltung als ernstzunehmendes Mitglied zu framen. Es schien zu funktionieren, denn wir redeten eine ganze Weile über diese Angelegenheit. Zum Abschluss des Abends wurden die einzelnen Taskforces des DSCs vorgestellt.
Es gab offenbar eine Arbeitsgruppe (Taskforce) für den European New Deal - ein aus der Feder von Varoufakis stammendes ökonomisches Reformpapier -, eine für Transparenz, eine für Migration und eine für die europäische Konstitution. Das gefiel mir. Hier wurde nicht nur zwei Stunden über Politik räsoniert, sondern richtig gearbeitet.
Wenn dass die Basis der Bewegung war, dass überall in Europa in diesen Kleingruppen an diesen Fragen gearbeitet wurde, dann war das schon beeindruckend. Der Grad an Koordination musste enorm sein, denn wie gewährleistete man, dass nicht redundant oder gar inkompatibel gearbeitet wurde?
Ich nahm an, dass sich die Koordinator*innen der Arbeitsgruppen in regelmäßigen Zoomkonferenzen austauschten und In- und Output koordinierten. In dieser Struktur würde ich bestimmt einen produktiven Platz finden.
Außerdem wurde mehrfach die Plattform Mattermost erwähnt, eine Open-Source-Alternative zu Slack - einem webbasierten Instant-Messaging-Dienst. Eine Slack-Instanz gab es auch, aber die wollte man gerade zugunsten von Mattermost verlassen, da man die bewegungsinterne Kommunikation nicht auf einer Konzern-Plattform führen wollte.
Dort konnte also die ganze horizontale Koordination stattfinden. Auch das klang neu und aufregend. Instrumentelle Vernunft, aktuelle Tools und Methoden im Dienst der progressiven Sache.
Der leicht steife Mix aus Gewerkschaftslinke und Hippie-Esoterik, den ich in Frankfurt wahrzunehmen meinte, war vergessen. Außerdem winkte die Möglichkeit mit Linken und Progressiven aus anderen europäischen Ländern in Kontakt zu kommen. Vielleicht würde ich ja sogar Kontakte nach Andalusien knüpfen können. Ich war euphorisch. Diese ganze Sache schien gut durchdacht, ambitioniert und zog diese sympathischen und motivierten Menschen an, die danach auch noch zusammen ein Bier am Späti trinken gingen.
Ich ging erstmal nicht mit, ich musste die Erfahrungen erstmal auf mich wirken lassen und meine nächsten Schritte planen. Auf der Webseite von DiEM25 erfuhr ich noch an diesem Abend, dass DiEM25 sich zur Aufgabe gemachte hatte sieben thematisch Säulen - die sogenannten Pillars - mit Politikvorschlägen zu füllen. Diese Säulen waren - zum damaligen Zeitpunkt: Europäische Konstitution, Transparenz, Internet of People, Migration, European New Deal, Arbeit und Ökologie.
Ausformuliert war bis dato nur ein Pillar, der schon erwähnte European New Deal, eine Mischung aus den Ideen, die Varoufakis als griechischer Finanzminister entwickelt hatte und seinem mit James K. Galbraith und Stuart Holland verfassten Traktat A Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis.
anonymous
4 years ago
Den Großteil deiner Beschreibung kann ich voll nachvollziehen. Mein Background war ein etwas anderer, aber die Gründe, mich #DiEM25 anzuschließen, waren bei mir ziemlich die gleichen. Auch die Verwirrung über die Strukturen und das Zustandekommen von Ergebnissen sowie die mangelnde Diskussion über viele Papiere und Programme - die zwischen irgendwelchen Leuten auf irgendwelchen Plattformen ablief, zu denen ich keinen Zugang fand. Bin dann ebenfalls in einem DSC gelandet, der vor allem aus Menschen bestand, die schon anderweitig aktiv waren, Grundeinkommen, attac, Gewerkschaft ... und an der Wahlflügeldebatte auseinanderbrach. Das Interesse an DiEM und den Forderungen bestand (und imho besteht auch weiter), und so fanden sich wieder Menschen in einem DSC zusammen. Zumindest die kleineren DSCs scheitern aber nach meiner Erfahrung immer wieder daran, dass die Funktion dieser Gruppen unklar geblieben ist und es keine Unterstützung gab, Hebel zu entwickeln, wie eine solche Gruppe sich aktiv einbringen kann.
Subliminal_Guy
4 years ago
Danke für deinen Kommentar. Es ist interessant zu sehen, dass du ähnliche Erfahrungen gemacht hast wie ich. Ich war ja im Bundeskollektiv auch in regelmäßigem Austausch mit einem Dutzend DSCs und zumindest in Deutschland scheint es vielfach große Rat- und Orientierungslosigkeit gegeben zu haben.