1.1. Erstkontakt

4 years ago by Subliminal_Guy

Aufgrund des medialen Charakters von DiEM25 hatte ich gleich zwei erste Begegnungen mit der Bewegung: Eine Online und eine Offline. Die Online-Begegnung beruhte auf einem Missverständnis. Ich hatte von der Institution des DiEM25-Cafés gehört, einer Art Mitgliederaustausch über die Videokonferenz-Software Zoom, die damals noch recht unbekannt war. Aufgrund des Charakters der Einladung zu diesem Zoom nahm ich an, man würde über inhaltliche Dinge reden, allerdings war die Konferenz in erster Linie als ein Software-Test gedacht.
Ich kam in einen virtuellen Raum mit zwei weiteren Personen: einem in Sevilla lebenden Briten, Adam, und einem Mann aus Kopenhagen, David. Der Kopenhagener begann die Konversation mit den Worten "DiEM25 is a stalinist movement!".
Er hatte offenbar länger nach einer Möglichkeit gesucht sich mitzuteilen und ähnlich wie ich angenommen, hier sei nun der richtige Ort um Kritik zu formulieren. Adam, den ich damals für eine Art Repräsentanten des Coordinating Collective (CC) hielt - dem Gremium das DiEM25s Operationen koordinieren soll und dessen ständiges Mitglied auch Yanis Varoufakis ist - bemühte sich Gründe für die vermeintliche Zensur zu finden, der sich David ausgesetzt sah.
Der Vorwurf des "Stalinismus" ist natürlich eine beliebte Trope inner- und außerhalb des linken Diskurses und deshalb nahm ich ihn auch "cum grano salis".
Im Verlauf des Gespräches wurden wir dann in einen größeren Raum transferiert, in dem unter anderem auch Aral Balkan war, ein bekannter Kritiker von Big Tech und Überwachungskapitalismus. Man diskutierte über Bugs in der Konferenz-Software und ich fuhr dazwischen mit der Bitte doch über die wirklich relevanten Dinge zu reden. Der Rest der Teilnehmer*innen war etwas irritiert, da es sich ja um einen Test-Call handelte. Ich blieb etwas ratlos zurück, der Groschen fiel bei mir erst einige Tage später.
Die erste Offline-Begegnung fand in Frankfurt am Main statt. Dort gab es ein deutschlandweites DSC-Treffen. DSC ist die DiEM25 interne Bezeichnung für DiEM25 Spontaneous Collective, einer Art informeller Ortsgruppe der Bewegung. DiEM25 hat eine ausgesprochene Vorliebe für verschachtelte Akronyme, ein Umstand, der den Einstieg in die Bewegung nicht unbedingt erleichtert.
Das Treffen fand im DGB Bildungswerk direkt am Main statt. Ich war Freitags am frühen Nachmittag angereist und legte mich in einer Filiale des EasyHotel in einem Zimmer schlafen in dem der Boden der Dusche ebenerdig ins Hotelzimmer überging, so dass ich jedesmal über eine persistente Wasserlache hechten musste um in das winzige Bad zu gelangen. Für eine Person war das Zimmer zu eng, zu zweit musste es ein Alptraum sein.
Ich hatte das Buch "Die ganze Geschichte" (Orig.: „Adults in the Room") von Yanis Varoufakis mitgebracht, in dem er über die Geschehnisse in der Eurogruppe berichtet, die er u.a. anhand von heimlichen getätigten Audioaufnahmen rekonstruiert hat.[1]
An mehreren Stellen berichtet Yanis in diesem Buch von dem Widerstand den er seitens der Parteifreunde in Syriza erleben musste. Er hatte als Aussenseiter, auf ausdrückliche Bitte von Alexis Tsipras, den Posten als Finanzminister übernommen und wenig Verbindung zum Parteiestablishment.
Dieses betrachtete ihn, so schildert es Varoufakis, als unzuverlässigen Einzelgänger, der möglicherweise die Interessen Griechenlands verraten würde, da er u.a. mit amerikanischen Ökonomen wie James K. Galbraith verkehrte und auch sonst für alle Beteiligten eine sehr ungewöhnliche Figur abgab. Wir alle erinnern uns sicherlich an die Bilder eines auf dem Motorrad davonbrausenden Finanzministers, die ihm später zum Verhängnis wurden.
Bei der Lektüre des Buches fragte ich mich mehrmals, warum Varoufakis nicht mehr Zeit darauf verwendet hatte den verschiedenen Parteiflügeln seine Sichtweise näher zu bringen. War es zu anstrengend, zu wenig erfolgsversprechend, gar aussichtslos? Hatte er es versucht? Oder hatte er sich auf Tsipras verlassen, dass dieser die schwierigen politischen Balanceakte schon meistern würde?
Zu jener Zeit war ich davon überzeugt, dass die Betonköpfe, Blockierer und Hardliner in Syriza ihren Finanzminister einfach nicht verstanden hatten. Der spieltheoretisch unterfütterte Pragmatismus von Varoufakis schien so viel erfolgsversprechender in den Verhandlungen mit den Eurogruppen-Technokraten als marxistische Erörterungen.
Als es dunkel geworden war, brach ich auf zum Meet&Greet in das DGB-Haus. Da ich niemanden kannte, näherte ich mich asymptotisch dem Hintereingang, um mir die Teilnehmer*innen zunächst aus sicherer Distanz anzusehen. In der Glastür zum Raucherbereich stand ein beleibter Herr um die 50 mit schütterem Haar und einem schwarzen T-Shirt (es mag ein Star-Wars-Logo gewesen sein oder der Name einer Death-Metal-Band in Frakturschrift) der ein Dose Weizenbier auf seinem Solarplexus abgestellt hatte. Er war im Gespräch mit einem deutlich jüngeren, etwas zornig wirkenden Mann, der einen Kapuzenpulli mit Sowjetstern samt Hammer und Sichel trug. Der Ältere von den beiden sagte etwas darüber, dass es ja mittlerweile belegt sei, dass gewisse Mitarbeiter im World Trade Center vor den Anschlägen gewarnt worden waren und es vorher verlassen hätten.
Noch hatte mich niemand wahrgenommen und ich spazierte langsam weiter, zurück auf den Parkplatz. Brauchte ich die europäische, internationalistische Bewegung DiEM25 um die gleichen Bullshit-Debatten zu führen, die hartnäckig die deutsche Linke heimsuchen und die mich bisher erfolgreich daran gehindert hatten politisch aktiv zu werden? DiEM25 war für mich auch deswegen attraktiv gewesen, weil der Bezug auf die aktuellen Ereignisse der Finanz- und Eurokrise und die Selbstbezeichnung als "Progressiv" versprach neue Wege zu gehen. Da das Programm ein Screening des Dokumentarfilmes "Demain" von Cyril Dion und Mélanie Laurent vorsah, beschloss ich pünktlich zum Screening wiederzukommen und die Lage dabei aus sicherer Distanz zu sondieren.
Der Film "Demain" war nun eine um die beiden Regisseur*innen zentrierte Aneinanderreihung von mehr oder weniger utopischen Projekten, die als im harmlosesten Sinne "grün" oder "sozialdemokratisch" beschrieben werden konnten. Ich hatte streckenweise den Eindruck es ginge mehr darum die in allen Lebenslagen unfassbar gut aussehende Mélanie Laurent und ihre engagierten Freund*innen in ganz Europa abzufeiern.
Das Ganze stand im krassen Gegensatz zu dem von mir aufgeschnappten Conspiracy-Gespräch, war aber auch bezeichnend für das bunte Sammelbecken das DiEM25 allein in Deutschland war: Ex-Grüne, Ex-SPDler, Piraten, noch Linke, Parteinomaden, Politik-Neulinge, Gewerkschaftler, ökologische und feministische Gruppen und parteilose Pragmatiker.
Im Laufe des Wochenendes wurden dann auch so unterschiedliche Dinge diskutiert wie der Weg zu einer europäischen Verfassung, die Gaia-Theorie nach Bruno Latour, Feminismus in der Bewegung und technologische Souveränität. Es wurden Bücher hochgehalten von Ulrike Guérot, Udo di Fabio, Thomas Paine und Alexander von Humboldt. Doch auch Kritik an der Bewegung wurde laut. Es war das erste Mal, dass ich den Namen der Volunteer Koordinatorin von DiEM25 hörte, die nach Meinung der Anwesenden ihre Kompetenzen überschritt.
Auch die bevorstehende Gründung eines Wahlflügels der Bewegung wurde diskutiert. Man war - so die adhoc-Analyse die mündlich verbreitet wurde - mit dem Ansatz eines linken Thinktanks nicht ernst genug genommen worden und es sei Zeit die Ideen der Bewegung in die Parlamente zu tragen.
Das erschien mir eine enttäuschende Schlussfolgerung. Warum gründete man eine Bewegung, wenn man dann doch Parteipolitik machen wollte? Wie sollte sich diese Partei im gesättigten deutschen Politikmarkt durchsetzen? Das Narrativ war hier, dass es "Not Just Another Party" werden würde, sondern die erste gesamteuropäische Partei, die alle Entschlüsse gemeinsam mit den noch zu gründenden Partnerparteien in den anderen europäischen Ländern abstimmen sollte. Ein Hack der nationalistischen Beschränkungen der herkömmlichen Parteien also. Das klang interessant.
Das Coordinating Collective hatte bereits am 27.9.2017 folgendes verkündet:
"if DiEM25 is to live up to its inaugural commitment to act before Europe disintegrates (before 2025?); if we are to keep open the fast-closing window of opportunity for redressing climate change or the wholesale dominance of xenophobia… we must decide soon."
Der konkrete Vorschlag:
"... DiEM25 will not turn itself into a political party but, rather, seeks to register (as one of its many instruments and initiatives) an ‘electoral wing’; a genuinely transnational party organisation in as many European countries as possible. These organisations would not be independent but bound to the movement’s internal votes. Whether and where DiEM25’s ‘electoral wing’ contests elections will be decided by DiEM25 all-member voting on a case-by-case basis and in accordance with DiEM25’s Manifesto, Organisational Principles and the policy document entitled ‘NOT JUST ANOTHER POLITICAL PARTY‘."
Mittlerweile waren weitere Vorschläge seitens der Mitglieder eingegangen. Einer stammte von dem Democracy in DiEM25 genannten t-DSC (wir erinnern uns, DiEM25 hat viele Akronyme - hier bedeutet t-DSC thematic DiEM25 Spontaneous Collective), das gegründet worden war um die demokratischen Strukturen innerhalb von DiEM25 zu analysieren und zu verbessern.
Demokratische Strukturen in einer Bewegung die die demokratischen Strukturen in Europa verbessern wollte. Es wurde langsam kompliziert. Und kompliziert gefällt mir. Ich entschied vorerst in den Kreisen von DiEM25 zu verkehren und zum nächsten Treffen der Berliner Ortsgruppe zu gehen.
Rückkehr nach Berlin mit drei Dosen "Bembel with Care" und weiterer Lektüre des Bestsellers von Yanis Varoufakis.
[1] Auf der Website euroleaks.diem25.org sind diese Aufzeichnungen seit März 2020 abrufbar.
Darko

Darko

3 years ago

Wurden die Euroleaks auch in den Medien veröffentlicht?